Der Weg

Hannah Trapp

von Hannah Trapp

Story
NĂĽrnberg

Ein labiler Charakter – wie ich es bin – liebt das Rampenlicht, aber kann keine BerĂĽhmtheit ertragen. Deshalb ist es besser fĂĽr mich, nicht berĂĽhmt zu sein, denke ich, während ich meine Zettel sortiere. Ich muss mich noch immer – auch nach 15 Jahren im Beruf – disziplinieren, Ordnung zu halten. Sonst wĂĽrde in meiner Klasse das völlige Chaos ausbrechen. Stand jetzt bin ich nämlich die Einzige, die ordentlich ist. Aber das lernen sie schon noch… Meine neue FĂĽnfte ist schwierig, das muss ich schon zugeben. Auch, wenn ich sie vehement vor allen in Schutz nehme. Sogar vor meinem Mann, der sie ĂĽbrigens nicht einmal kennt. Es gibt schon Momente, da sehne ich mich nach meiner M10, die diesen Sommer nach drei Jahren bei mir abgegangen war. Sie hatten mich mit Geschenken ĂĽberhäuft, mit Danksagungen, manche mit ĂĽberraschend viel Körperkontakt. Aber das beste Geschenk fĂĽr mich, war ihr Erfolg gewesen. Alle hatten es geschafft. Und alle hatten einen sicheren Plan fĂĽr danach. Ich hatte junge, chaotische, unsichere, völlig pubertierende Monster bekommen und sie waren als motivierte, voller Leben steckende junge Erwachsene in die Welt gegangen und ich war mir sicher, sie wĂĽrden sie besser machen. Als ich zum ersten Mal entschieden hatte, Lehrerin zu werden, war ich selbst blutjung gewesen. In den letzten Teenagerjahren war der Wunsch zurĂĽckgekehrt – nur stärker, viel stärker. Er hatte sehr viel ideelle UnterfĂĽtterung erhalten. Die Welt besser machen – man könnte es als einen völlig ĂĽbertriebenen Anspruch sehen. Aber genau das ist es eben nicht. Ich wĂĽhle im Pult nach meinem Locher. Wenn man sich entscheidet, die Welt besser machen zu wollen, findet man jeden Tag einen Weg dazu. Ich weiĂź inzwischen, dass ich nicht jeden Jugendlichen retten kann. Ich weiĂź inzwischen, dass ich nicht zu jedem Kind einen unglaublichen Draht aufbauen kann. Ich weiĂź inzwischen, dass ich nicht perfekt sein kann. Mein Unterricht ist nicht perfekt. Manchmal rede ich zu viel. Manchmal sind meine Ideen zu kompliziert. Manchmal vergesse ich selbst dieses dämliche „Punkt vor Strich“. Und das ist okay… Meine SchĂĽler finden das lustig. Sie fĂĽhlen sich dann verstanden. Die Welt besser zu machen, ist kein groĂźer Schritt. Es sind viele Kleine. Die Welt besser machen, ist manchmal jemandem die Vier noch zu geben und manchmal macht man sie auch besser, wenn man dem Kind die Sechs reindrĂĽckt und es aufwacht. Guter Politik- und Geschichtsunterricht macht die Welt besser. Einem Kind zuhören, macht die Welt besser. Jemandem ein gutes GefĂĽhl geben, macht die Welt besser. Es gibt tausend Wege. Und ich habe einen davon gefunden. Meinen Weg.


…Die Pegnitz ist ganz ruhig. Ich starre sie an und finde – ganz langsam nur – ins hier und jetzt zurück. Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wer ich sein will. Auch, wenn es manchmal um mich herum so laut ist, dass ich meine innere Stimme nicht mehr hören kann und ich manchmal so überwältigt mit Gefühlen bin, dass ich meine Seele nicht mehr fühlen kann. Es ist okay. Ich entscheide mich. Und ich entscheide mich für den Weg, der für mich der richtige ist – der Weg, auf dem ich diese Welt so ein winziges, kleines bisschen besser machen kann. Ich entscheide mich für meinen Weg.


© Hannah Trapp 2023-06-15

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Inspirierend
Hashtags