Mein Zimmer hatte einen Balkon. Von dem aus stĂŒrzten hunderte Meter in die Tiefe Die HĂŒgel wurden immer kleiner und landeten im Meer. Die Sonne ging unter.
Das Hotel war in den Felsen hineingebaut. Alles war aus den 1960er Jahren: Zimmer, Armaturen, Schrank, Bett. Die Matratze war neu, die Aussicht ewig, Lift und Speisesaal modern: Alles weiĂ mit riesigen Fenstern. Köche und Kellner waren jung und liebten ihr Handwerk. Es gab mehrere GĂ€nge: Nudelgerichte, Fisch, Fleischspeisen, Risotto, GemĂŒse, Salate, Desserts. Ich verlor wĂ€hrend des Aufenthalts wegen der vielen Bewegung mehrere Kilos, aber auch wegen der ausgeklĂŒgelten Kombinationen und der besonderen Abfolge der Gerichte. Nach dem Mahl fĂŒhlte ich mich leicht. Das Essen leuchtete noch, wenn ich schon lĂ€ngst im Zimmer war.
AgĂ©rola liegt auf einer Hochebene ĂŒber der KĂŒste. Wie hingeklatscht. Ein graues Dorf mit zwei, drei GeschĂ€ften und zwei, drei CafĂ©s und Bars auf einem kleinen, nichtssagenden Platz. Das Gartenmobiliar steht so nahe nebeneinander, dass man nicht weiĂ, welcher Stuhl zu welchem Lokal gehört. Ich trank Mocca, Sodawasser und Cola Zero.
Von diesem Dorf geht der Weg der Göttinnen weg. Er fĂŒhrt einen Kamm entlang. Ich hatte starke Schmerzen im Knie. Pinienschatten. Meerglitzern. Zikaden. Am Wegrand sĂŒdlĂ€ndische KrĂ€uter und Schwaden von Harzen. Geröll, Steine, kleine Felsen, Markierung und Wanderer. Ich trug einen Kniestrumpf. Jeder Schritt schmerzte, doch ich war wegen dieses Weges gekommen. Wegen des Camino degli Dei. Nach mehreren Stunden – ich, schweiĂgebadet, mit rotem Gesicht und am Kopf klebenden Haaren und noch mehr Schmerzen als zu Beginn – lagen unter mir winzige HĂ€user am FuĂe steiler HĂŒgel. Wie Spielzeug, mit in der Mitte einem kleinen Strand mit bunten kleinen Booten: Positano.
Irgendwann ging es nur mehr bergab. Dann noch eintausend Stufen oder Shuttle. Der kleine Bus machte vor einem Schranken Halt. Der Eingang in die Stadt bestand aus Glyzinientrauben in lila. Sie hingen vom Himmel wie ein BlĂŒtendach. Die schmale Gasse: gepflastert und in Serpentinen. Bunte Kacheln einer Kuppel leuchteten in der Sonne. ZitronenbĂ€ume. Jasmin. Auf Vespas brausten MĂ€nner an mir vorĂŒber. Ich brach in TrĂ€nen aus. Ich konnte sie nicht in mir behalten.
Ich saà im leeren, Hotelgarten eines Palazzos bei BrunnengeplÀtscher. Die Handseife auf der Toilette hieà Prija und duftete nach Weihrauch. Ich saà da, schaute und las.
© Gerda Sengstbratl 2021-06-06