Der Weg zu mir

Sandra Berger

von Sandra Berger

Story

„Now I’m starting to think he wasn’t supposed to be my whole life, he was just this doorway to me.“ (Barbara Kingsolver – Prodigal Summer)

Es war Ende Jänner 2015, die ersten Tage des Jahres waren eindeutig zu warm gewesen. Eine dicke Schneedecke würde sich über Nacht über die Stadt legen, und meine Stimmung noch mehr dämpfen. Plötzlich war ich mir jedem Geräusch, jeder kleinen Regung meines Herzens bewusst, ich fühlte mich unendlich leer. Als wäre ich einen anstrengenden Marathon auf einen Hügel gelaufen. Trotzdem schien unbekanntes Terrain, unwegsames Gelände vor mir zu sein. Ich war unfassbar ausgepowert, warum hatte ich so unglaubliche Angst vor dem Leben?

Müde und resigniert starrte ich aus dem Fenster, um dem dichten Schneetreiben zu folgen. Seit Wochen war ich nicht mehr ich selbst, nicht mehr fähig mich länger zu konzentrieren. Die Trennung von meiner großen Liebe hatte mir sehr zugesetzt, aber das wollte ich niemanden wissen lassen, schon gar nicht meine Familie, schon gar nicht diese fremde Frau, die mir jetzt gegenübersaß, mich erwartungsvoll anblickte. An mein Studium war nicht zu denken. Mir war kalt, obwohl ich mich selbst jahrelang in diesen flauschigen Mantel namens Einsamkeit gehüllt hatte. Ja, der Mantel war sicher, was würde wohl passieren, wenn ich ihn langsam ausziehen würde?

„Es geht Ihnen sehr schlecht, das kann ich sehen.“ In diesem Moment war ich ganz weit weg, ich versuchte verzweifelt mich auf das Schneetreiben im Außen zu fokussieren, lächelte nur gequält, fand keine Worte, die Tränen würden erst Monate später kommen. Diagnose: Realitätsverweigerung.

Jahre später denke ich immer noch an diesen Moment, der für mich prägend war. Ein paar Wochen danach fand ich meine Therapeutin – ein Glücksfall. Zum ersten Mal seit langem war da ein Mensch, der sich aufrichtig um mich sorgte (ich tat es ja nicht), mir zuhörte (ich wollte ja nicht), und die Dinge beim Namen nannte (ich lief ja immer davon). Langsam, ganz langsam fand ich den Weg zurück zu mir in ein neues Leben. Was mir all die Jahre gefehlt hatte, war das selbstbestimmte und selbstbewusste Entscheiden, nicht mehr von all den Zweifeln geplagt zu sein, nicht mehr alles im Leben an dieser einen Person festzumachen, sich vor allem nicht mehr einreden zu lassen, dass man sich grundlegend ändern müsse, um geliebt zu werden. Dieses Stück Freiheit hatte ich mir hart erkämpft, ich war mir gar nicht bewusst, dass der Schlüssel dazu ich selbst war. Zu lang hatte ich an einer Beziehung festgehalten, die mir nicht gut tat, die mich zu einem Menschen werden ließ, den ich nicht besonders mochte.

Der Sommer 2015 sollte die beste Zeit meines Lebens werden. Ich war zwar alleine, aber einsam war ich nicht. Ich hatte meine besten Freunde und Familie um mich, die ich langsam in meine innere Welt ließ, mit all meinen Fehlern. Ich verstand nun, dass ich zu mir selbst am härtesten war, meine Beziehung hatte mir das nur all die Jahre wie ein Spiegel vor Augen gehalten.

© Sandra Berger 2021-03-27

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