von Dorfkind
Es ist 5 Uhr morgens. Als ich das Haus verlasse, ist es ganz still an diesem Herbstmorgen. Mit Vorfreude gehe ich auf das Licht zu, das aus der Küche des jahrhundertealten Bauernhauses scheint. Mein Opa begrüßt mich mit einem Lächeln. Der Geruch von Holzfeuer und geschmolzener Butter strömt mir entgegen. Gerade ist das erste Spiegelei fertig geworden. Zusammen mit einem Häferl warmer Milch serviert der Bauer dem jungen Knecht das Frühstück. Und nun kommt die Krönung. Opa legt mir eine Scheibe Weißbrot her, die ich in kleinen Stücken der Mahlzeit hinzufüge. Zusammen mit der flüssigen Butter und dem Ei ergibt das einen herrlichen Geschmack. Die Anzahl der Kalorien ist kein Thema. Weder für den 8-jährigen Buben, noch für den 65-jährigen Mann, dessen bisheriges Leben von Entbehrungen und Hunger geprägt war.
Auf dem hellblauen Puch Mofa fahren wir durch die Dämmerung. Vorne der Opa, dahinter ich und an der Anhängerkupplung das Holzwagerl mit den zwei Milchkannen. Die Kühe erwarten uns bereits vor dem Heustadl. Wir machen die Petroleumlampen an und treiben die Tiere in den kleinen Zubau, in dem gemolken wird. Ich tauche einen Lappen in Wasser und reinige die Zitzen der Kühe. Sobald ich mit der ersten fertig bin, setzt sich Opa auf seinen Melkschemel, stellt den Milcheimer unter das Euter und beginnt zu melken. Es geht zügig voran. Als ich mit der Reinigung fertig bin, darf ich auch melken. So schnell und reibungslos wie beim Bauern geht es bei mir nicht. Umso größer ist die Freude über jeden Liter Milch, den ich in die Milchkannen füllen kann.
Es ist Zeit, wieder zum Hof zu fahren. In einer halben Stunde kommt das Milchauto. Wir heben die Milchkannen auf den Anhänger und sichern sie mit Seilen. An einer Stelle müssen wir mit unserem Gefährt einen Bach queren. Das holprige Bachbett soll nicht dazu führen, dass unser kostbares Gut im Wasser landet. Als wir die Kannen auf das Milchbankerl bei der Hofzufahrt stellen, wärmen uns die ersten Sonnenstrahlen.
Wie viel Geld mein Opa zu dieser Zeit für einen Liter Milch von der Molkerei erhalten hat, weiß ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass er einmal über den Milchpreis gejammert hätte. Wenn ich heute zurückblicke, war die Melkarbeit am frühen Morgen für mich als Kind ein Abenteuer. Und für den Opa? Für ihn war die Arbeit auf seinem Hof Lebensgrundlage. In wirtschaftlicher wie in menschlicher Hinsicht. Sie hat ihn zufrieden gemacht. Sie hat ihm Sinn gestiftet. Nicht mehr. Und nicht weniger.
© Dorfkind 2020-03-11