von Maria Büchler
Der vielleicht grösste Wunsch meines Vaters, lebenslang, war ein eigenes Auto. Nach der Schulzeit strebte er deshalb eine Stelle in einer Kfz-Werkstatt an, musste aber vorerst in einer Textilfabrik sein Geld verdienen. Endlich klappte es, aber seine Freude währte nur ein paar Monate. Er wurde wehrdienstverpflichtet und an die Front geschickt.
Als er nach drei Jahren russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, war seine linke Hand teilamputiert. Mit nur einer richtig brauchbaren Hand war der Traum vom Automechaniker vorbei.
Trotzdem gab Papa nicht auf. Er hatte immerhin Militärlastwagen gefahren, wenn auch ohne Führerschein. Doch meine Mutter war der Finanzchef in der Familie. Sie hätte nie erlaubt, dass er etwas Grösseres als ein Puch-Moped kaufte. Doch auch auf zwei Rädern fühlte er sich wie Marlon Brando im Film «Der Wilde».
Als ich selbst Mann und Kinder hatte, nutzte mein Vater die Begrüssungs-Aufregung bei einem unserer Besuche. Da der Zündschlüssel noch steckte, drehte er mit unserem R4 heimlich ein paar Runden in der Stadt, um dann freudestrahlend im engen Hof rückwärts einzuparken. Mein Mann war zwar sauer, musste aber zugeben, dass das Manöver tadellos ausgeführt worden war.
Mit 61 durfte Papa seinen Ruhestand geniessen. Eines Tages überraschte er unsere Mutter mit einem jener kleinen Wagen, die höchstens 45 km/h fahren dürfen. Aber er kam sich vor wie ein Rennfahrer. Vom Vorwurf «hinausgeworfenes Geld» liess er sich seinen Spass nicht verderben. Ebenso wenig davon, dass er nicht wie in Udo Jürgens’ Schlager mit 110 PS durch die Gegend fegen konnte. Ihm genügte es, an den Jass-Abenden mit seiner Kutsche vorzufahren und hinterher die Damen nach Hause zu bringen. Mutter selbst setzte sich kein einziges Mal in das Fahrzeug.
Er beschloss, seine Verwandten in Südtirol zu besuchen. Ohne viel mitzunehmen und nach einer nur kurzen Bemerkung zu meiner Mutter (sie glaubte gar nicht, was er ankündigte) fuhr er gen Süden. Auf der Autostrada zuckelte er dahin, und natürlich stoppten ihn irgendwann die Carabinieri. Ein so langsames Gefährt habe auf der Autobahn nichts verloren.
«Aber weisst du», erzählte er mir später, «ich hab einfach Kauderwelsch geredet. Da haben sie lachen müssen und mich versprechen lassen, bei der nächsten Ausfahrt auf die normale Strasse zu wechseln. Aber du kennst mich ja, so schnell lasse ich mich nicht vertreiben.»
Wir alle wussten damals noch nicht, dass Papa auf einem Auge halb blind war, sonst hätten wir etwas unternommen. Doch eines Tages kam es zu einem leichten Unfall, und die Nummerntafel wurde ihm entzogen. Aber das bremste ihn nicht. Er bastelte sich ein Schild aus Pappe, wurde aber bald damit erwischt und mit einem saftigen Knöllchen belegt.
Mein Vater wurde beinahe 88 Jahre alt. Bis an sein Lebensende sang er gern: «Mit 66 Jahren ist noch lange nicht Schluss.»
© Maria Büchler 2020-08-12