von Hermann Karosser
Unmittelbar hinter dem Ortsschild hatten wir uns in die BĂŒsche geschlagen, da Sepp, da Weili und i. Keiner konnte uns hier entdecken, aber wir hatten die ganze Szenerie im Blick: Links oben der stattliche Bauernhof des Feichtlbauern, wo sie sich mit dem Gartenschlauch kultivieren konnten und das FrĂ€ulein Gretl fĂŒr sie kochte. Dann der nach rechts bis zur DorfstraĂe hin abfallende Hang, an dessen oberem Ende, direkt im Schatten der kleinen Kirche das Lager aufgebaut war. FĂŒnf Zelte um ein offenes Feuer herum. Fast in der Mitte, aber in sicherem Abstand zur Feuerstelle, war der Wimpel in den Boden gerammt.
Wir waren viel zu frĂŒh angekommen. Im Lager herrschte noch reges Treiben, da mussten wir bis zu unserem Vorhaben noch lange ausharren und hatten eine Menge Zeit, um uns an die Vorjahre zu erinnern, in denen wir selbst noch dabei waren, wenn die Gartlberger ins Zeltlager gefahren sind, meistens hierhin, ins schöne Abtsdorf am See.
Jedes Jahr machte das Internat dieses Angebot und obwohl es in die ersten Tage der groĂen Ferien fiel, nahmen immer fast alle SchĂŒler der ausgewĂ€hlten Klassen teil. Im Gegensatz zu den Zeltlagern, die ich von den Mariahilfer Ministranten kannte und die irgendwo âfernab von der Zivilisationâ aufgebaut wurden, suchte die Gartlberger Heimleitung die NĂ€he zum Dorf und zur Kirche. Erstere, weilâs praktischer war und zweitens, damit auch hier auf die Rituale des religiös ausgerichteten Heimes nicht verzichtet werden musste.
Trotz âZucht und Ordnungâ hatten wir eine Menge SpaĂ. Ob als âPiratenâ auf dem See, als Komparsen bei der dörflichen FeuerwehrĂŒbung oder als Musikanten und Schauspieler beim groĂen Dorfabend, langweilig ist es uns nie geworden. Dazu kamen die Abenteuer des Lagerlebens, allen voran die Nachtwachen zum Schutz der Kameraden und des Wimpels. In dem Alter hatten wir noch richtig âSchissâ dabei.
Endlich kehrte Ruhe ein auf der Wiese vor der Kirche. Bei der Abendtoilette war es noch einmal laut geworden, denn das kalte Brunnenwasser aus dem dicken Schlauch machte eher frisch als mĂŒde. Aber dann ĂŒbermannte sie doch der Schlaf in ihren Zelten und auĂer den zwei Wachen am Lagerfeuer war keiner mehr zu sehen.
âLos jetzt!â, flĂŒsterten wir uns gegenseitig zu und zunĂ€chst gebĂŒckt, dann aber am Boden robbend nĂ€herten wir uns dem Lager. Wir teilten uns auf, um die Wachen leichter ablenken zu können bis einer von uns den Wimpel zu fassen bekam und wir unter groĂem Alarmgeschrei aus dem Lager stiftengingen. Wir liefen hintereinander an die RĂŒckseite der Kirche, wo es noch dunkler war. Irgendwann warf mir der Weili den Wimpel zu. âJetzt duâ, rief er aus und ich knĂŒllte in meiner Not das Banner aus Stoff zusammen und steckte es in meine Hose.
Ohne groĂe Gegenwehr stellten wir uns bald den Verfolgern und zeigten uns verhandlungsbereit. Einen Kasten Freibier holten wir heraus, gerade noch so rechtzeitig, bevor ich mir vor lauter Aufregung in die Hose â und damit wohl auch in den Wimpel â gemacht hĂ€tte.
© Hermann Karosser 2021-02-07