Der zackig zickende Zahn

Andreas Trimmel

von Andreas Trimmel

Story

„Möglicherweise kann diesmal ja ich etwas fĂŒr Sie tun und Ihnen endlich einen langersehnten Wunsch erfĂŒllen“, beantworte ich die mir gestellte Frage. Er beginnt verschmitzt und nicht nur fĂŒr einen ĂŒber SechzigjĂ€hrigen Ă€ußerst schelmisch zu grinsen. „Die Kronen?“, versteht er sofort, was ich meine. „Darf ich nun endlich an die ran?“ Er reibt sich vergnĂŒgt die HĂ€nde und seine Augen blitzen kindlich begeistert.

Es ist noch Morgen an diesem kĂŒhlen und regnerischen Freitag. Ein paar Tage zuvor fiel mir ein Zacken aus. Nein, nicht aus der Krone, aus dem Schneidezahn. Und weil so ein fehlender Zacken am Zahn ziemlich zackig und schrĂ€g aussieht und der Zahn seitdem auch ziemlich zickt, hab’ ich die Gelegenheit genutzt und beschlossen, meinen Freund zu besuchen. Den Mundraumarchitekten, den Dentalskulpturisten, den Virtuosen am Bohrer.

Als ich an der EingangstĂŒre klingle und ich auf den Einlass warte, fĂ€llt mir das Schild auf, das da prangt. Der Name ist ein anderer als beim letzten Besuch vor etwa acht Monaten. Der VORname ist ein anderer – der Nachname ist noch derselbe. Die EingangstĂŒr surrt und ich darf eintreten. Drinnen erwartet mich bereits die mir seit vielen Jahren bekannte Assistentin des Großmeisters und nimmt mich und gleich auch meine eCard in Empfang. Wir kommen ins Plaudern. Und ich erfahre, dass der Maestro das Zepter, also den Bohrer, dieser Tage offiziell weitergibt. An seine Tochter, die seit einigen Jahren bereits in der Praxis mitwirkt. „Und er geht wirklich von einem Tag auf den anderen in Pension?“, frag’ ich. „Ich kann mir ja kaum vorstellen, dass er so einfach loslassen kann. Nicht er.“ Sie grinst – genau wissend, was ich meine. „Nein, nein. NatĂŒrlich nicht“, grinst sie noch immer. „Er wird schon noch ne ganze Weile aushelfen.“ Ja, das denk’ ich mir. Er hatte ja noch ein Versprechen bei mir einzulösen – wenngleich ich dieses durchaus auch als Drohung empfinden könnte. Sein „Und wenn’s das Letzte ist, was ich vor meiner Pensionierung tu’ – DIE Kronen mach’ ich noch!“ liegt mir nach wie vor im Ohr.

Einige Zeit und ein Gebiss-Röntgen spĂ€ter sitz’ ich dann auf dem Besucherstuhl in des Meisters Stube, umzingelt von allerlei bedrohlichen Bohrern und Schleifern. Dann taucht der Maestro auf und begrĂŒĂŸt mich herzlich. Und fragt, was er fĂŒr mich tun könne. 

„Möglicherweise kann diesmal ja ich etwas fĂŒr Sie tun und Ihnen endlich einen langersehnten Wunsch erfĂŒllen“. Er 
 schelmisch 
 verschmitzt 
 grinsend 
 und dann gespielt enttĂ€uscht, als er mir in den Mund blickt und auf den Zahn fĂŒhlt. „DAS wird aber keine Krone, das flick‘ ma ganz traditionell!“, und legt los.

Wenige Minuten spĂ€ter legt er sein Werkzeug weg, lehnt sich zurĂŒck und seinen Kopf schief – und sieht mich an. Erst stumm. Dann seufzend. Samt synchronem Augenrollen. Dann spricht er. „Herr Trimmel 
. was mach ma mit ihren Kronen 
“ Bevor ich reagiere oder gar antworte, lass’ ich erst meine Zunge ĂŒber die ZĂ€hne und insbesondere ĂŒber den Zahn gleiten, um den sich der Maestro grad gekĂŒmmert hat. In der Tat, der Zahn ist restlos entzackt. Und ich bin entzĂŒckt. Auch restlos.

„Meine Kronen?“, reagiere ich schließlich. Und …

© Andreas Trimmel 2025-04-26

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Abenteuerlich, Komisch