von Jette Lübeck
[…] Zuletzt wandte sie sich Odysseus zu. „Und nun, der clevere König Odysseus. Ohne die Hilfe deiner Schutzgöttin Pallas Athene wärst du auf viele deiner Ideen gar nicht gekommen. Auch in deinem Fall wird dein Bild in Zukunft anders sein, als du es dir jetzt ausmalst. Du wirst bekannt sein als der Unglückliche, der 20 Jahre für die Rückkehr zu seiner Gemahlin gebraucht hat. Und das Trojanische Pferd, ja auch das wird jedem Menschen ein Begriff sein. Aber dass du es warst, der die Idee dazu hatte und es hat bauen lassen, das wird langsam in Vergessenheit geraten.“
Die fünf Männer waren sprachlos. So vor den Kopf gestoßen zu werden, insbesondere von einer Frau, waren sie nicht gewohnt.
Athene fuhr fort: „Denkt darüber nach, ihr Helden. Ohne die Hilfe eurer Frauen und eurer Freunde wärt ihr nicht so weit gekommen. Und ob die Leiden, die eure Heldentaten mit sich brachten, bewundernswert sind, ist ebenfalls Ansichtssache. Auch eure Gegner genießen Berühmtheit, manchmal sogar größere und andauerndere als ihr selbst. Sprecht nicht nur von euch. Lasst euch nicht dazu verleiten, nur euch selbst in ein gutes Licht zu stellen. Die eigentlich bewundernswerten sind deine Frau, Odysseus, die geduldige Penelope, die 20 Jahre auf dich gewartet hat und dir treu geblieben ist. Oder deine Mutter, Achilles, die dich so sehr liebte, dass sie versucht hat, dich unsterblich zu machen, um dich zu beschützen. Oder Ariadne, die dir geholfen hat, Theseus, obwohl sie wusste, wie gefährlich das war. Es sind nicht immer diejenigen, die in vorderster Reihe stehen und sich die Köpfe einhauen. Es sind häufig auch die, die hinter ihnen stehen. Sie lieben, sie unterstützen und ihnen überhaupt einen Grund geben, all diese Heldentaten zu vollbringen.“
Odysseus erhob sich von seinem Stuhl, kniete vor der göttlichen Magd nieder und versprach: „Nie wieder werde ich mich dazu hinreißen lassen, nur mich selbst in das hellste Licht zu stellen und mich selbst zu lobpreisen. Das Licht soll ausstrahlen auf alle meine Lieben, Freunde und Helfer, die dieses Licht überhaupt erst entzündet haben. All jene, die sich angesprochen fühlen, nehmt euch eine Kerze!“
Odysseus nahm eine Fackel, die anderen Helden taten es ihm gleich, und ging im ganzen Saal herum und entzündete die Kerzen seiner Lieben, Freunde, Helfer, Unterstützer, all derjenigen, die seine Fackel erst zum Leuchten gebracht hatten.
Der ganze Raum war taghell. Alles erstrahlte.
© Jette Lübeck 2023-01-09