Der Zaubermantel

Julia Stankowiak

von Julia Stankowiak

Story

Hast du auch manchmal das Bedürfnis, dich kurz vor der Welt zu verstecken? Dich selber einmal kurz zu bedecken, sodass du dich noch sicherer fühlen kannst, auch wenn du weißt, dass du immer sicher bist? Ich muss ehrlich zugeben, dass das bei mir manchmal der Fall ist. Ich habe zwar keinen wirklichen Zaubermantel, aber es fühlt sich manchmal so an. Denn trage ich mein altes zerschlissenes, vom vielen Waschen sehr dünnes Jeanshemd, fühlt es sich so an. Dann fühle ich mich geborgen. Noch geborgener als sonst. Dann fühl’ ich mich nicht so allein. Dann fühle ich mich gehalten und sogar beschützt. Denn mein Hemd und ich, wir haben schon so viel erlebt. Wir haben schon so bedeutende, anstrengende, einfühlsame Momente zusammen erlebt. Mein Hemd ist wie ein Panzer, wie eine Rüstung. Aber auch wie der unsichtbare Zaubermantel von Harry Potter. Denn manchmal fühl’ ich mich in meinem Hemd so gut versteckt, als wäre ich unsichtbar. Ist das nicht wunderbar? Du könntest dich dann zum Beispiel in einer Menschenmenge aufhalten, ohne bemerkt zu werden. Sogar ohne jemand sein zu müssen. Ohne da zu sein. Du könntest in diesem Moment alle Rollen ablegen, die du täglich bedienst. Du könntest einmal die Kontrolle über alles -loslassen. Du könntest einfach existieren, ohne jemand sein zu müssen. Ohne Erwartungen zu erfüllen, die auf dich projiziert werden. Wie du zu sein hast, wie du andere behandeln musst. In diesem Moment musst du gar nichts. Du stehst einfach da. In dieser Masse von Menschen. Du weißt, wer du bist. Du kennst all deine Faults. Du kennst all deine struggles. Du kennst dich, fühlst dich aber frei. Zum ersten Mal frei in dir! Weil dich keine Erwartungen treffen. Weil du gerade einfach nur sein darfst. Ohne Kompromiss, ohne dass doch wieder eine Schublade aufgeht, die dir vorgaukelt, du müsstest etwas anderes anziehen, weil du so doch nicht herausgehen kannst, weil wieder etwas in dir zu dir sagt, dass du dieses Stück Kuchen, die Schokolade nicht essen darfst. Dass du noch die Wäsche machen musst, und deine Fans warten doch auch noch darauf, dass du endlich ein neues Lied herausbringst, aber bitte ein Gutes. All diese Erwartungen an dich. So nett sie auch ausgesprochen oder auf unbewusster Ebene an dich herangebracht werden, sie sind nun mal da. Jeden Tag. Sie warten auf dich, wenn du aufwachst und da etwas in dir flüstert: Ich hätte doch eher aufstehen müssen, ich hätte nicht so lange schlafen dürfen. Sie sind einfach da. Zu jeder Zeit. Wäre es da nicht schön, diesen Mantel zu haben? Irgendetwas, was dich kurz mal SEIN lässt. Dich in Ruhe lässt. Dich kurz atmen lässt. Wie wunderbar, wenn jeder etwas hätte, wie einen Zaubermantel, der deinen Kopf kurz auf Pause stellt, der alle eingehenden Projektionen deinerseits, aber auch die anderer Menschen kurz mal anhält. Oder?

Der Zaubermantel ist toll, aber die Magie, die du ihn dir selber trägst, um dir dein eigenes Leben zu erlauben, ist noch tausendmal besser. 

© Julia Stankowiak 2025-07-16

Genres
Spiritualität
Stimmung
Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend
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