von Gudrun Salzer
Sie sind mir ein Graus. Schon seit Kindheitstagen. Meine Haare. Und zwar immer dann, wenn sie sich im Ansatz anschicken, meine Schultern zu überwuchern. Zu Beginn meiner Schulzeit wuchsen sie auf gesäßlang, um es aufgehübscht zu umschreiben. Mit nachhaltiger Konsequenz konnte ich mein Erziehungspersonal damals von der Sinnhaftigkeit einer radikalen Einkürzung überzeugen. Jahrzehnte sind derweilen ins Land gezogen, in denen sich meine Schulterblätter keinem Fremdkontakt mit Haarspaltereien aussetzten.
Üblicherweise umgehe ich dieses Unwohlszenario mit einem zweimal jährlichen Frisörbesuch. Zuletzt im 0ktober 2019. Kurzen Prozess machte Herr Kurz mit meinem Termin am Altjahrestag 2020. So gings mit dem Wildwuchs am Haupt ins Neue Jahr. Bis dieser Tage.
Nach dem Haarewaschen kroch es feucht kalt und klebend am Rücken dahin. Gänsehautfeeling. Igittigitt. Zum Abgewöhnen!!! Um nicht zum Gruselgewohnheitstier zu mutieren, musste es dann doch schnell gehen.
Ein skeptischer Blick der Frisörin, als ich meinen Haarknoten nach all den Monaten auflöste. Mir stand die Vorfreude auf die Radikalkur ins Gesicht geschrieben. Die Dame mit der Schere schien von meinem Projekt nicht ganz so überzeugt. Nach der Einlage am Waschbecken quälte sich die Bürste durch mein Dickicht. Gewohnheitsmäßig erwartete ich mich hernach ein durchaus unansehnliches Gebilde mit verdrehten und geklippten Verwicklungen im Spiegelbild.
Doch diesmal überraschte mich die Haarkünstlerin meines Vertrauens mit einer völlig neuen Einlage. Sie fasste meine frisch gebürstetem Haare am Hinterkopf zusammen und legte ihren Kopf nachdenklich nach rechts. Ein stilles Mmhhhmm konnte ich vernehmen. Mit einer Fragezeichenmine löste sie die Hand von meinem hairliches Zustand und schritt zur Kommode. Ein doch sehr ungewöhnliches Werkzeug für die haarige Zunft zauberten ihre Hände aus der Schublade.
Entgeisterung warf mir mein Spiegelbild zurück und unisono fragten unsere verblüfften Gesichter: “Wos mochst oft mim Roimeta?”, während sich derselbige an meiner Rückseite ausrollte. Aus dem Hinterhalt erschien das Lehrmädchen. Vier Augen folgten der Skala und ein doppeldeutiges Lächeln erschien im Schwemmholz verrahmten Spiegel.
“Wommas net a bissei kischza schein, donn….”.
“Jo, des damma!” ploppte es ohne Zögern aus meinem Mund. Damit ergab mein haarsträubender Protest gegen die verfassungsrechtlich wohl nicht so ganz einwandfreien Aktionen einen Sinn.
Das Lehrmädchen wurde zum Scherentest gebeten. Mein frisch lackiertes Hutschpferdgrinsen untermale die Gesichtsdeko der Auszubildenden. Mehrfach wechselte diese von leichenblass auf tomatenrot.
Schnipp Schnapp.
Ab.
Der Verschnitt verzopfte sich. Derweilen ich formschön Federn ließ.
“Zwoa untaschiedliche Peasönlichkeitn”, stellte die Frisörin fasziniert nach getanem Werk fest.
Darauf hoffe ich, wenn mein Zopf in Bälde den Kopf eines krebskranken Kindes wärmt.
© Gudrun Salzer 2021-07-31