Des Schwurblers roter Faden

Thomas Roschitz

von Thomas Roschitz

Story

Wie ein roter Faden zog sich der… nun… tatsächliche rote Wollfaden über die Pinnwand an der Kellermauer. „Das muss es sein“, flüsterte Hans Moser, ein absolut durchschnittlicher Österreicher aus dem beschaulichen St. Hinterkaff im Weitwegtal, sich selbst zu.

„Das ist es!“, rief er lauter und riss dabei beide Fäuste triumphierend in die Höhe. Wochenlang hatte er nach den Zusammenhängen gesucht, Telegram Gruppen analysiert und Facebook durchforstet. Nun stand er endlich vor den Ergebnissen seiner fundierten Recherche. „Resi! Resi!“ Aufgeregt trampelte er die Treppe hoch, zerriss sich dabei beinahe das patinierte Unterhemd am Geländer.

„Es macht jetzt alles Sinn!“ Selbstsicher packte er Resis Hüfte und drehte sie zu sich um, drückte ihr einen verschwitzten Kuss auf die Stirn. „Ibiza, Corona, die Ukraine… Das hängt alles zusammen! Strache haben sie abgesägt, weil er kurz davor war, das alles zu durchschauen. Und Kickl kontrollieren sie mit den Hormonen in den Chemtrails, damit er im Parlament schön emotional ist und ihn keiner ernst nimmt.“ So viele Worte hatte Hans die letzten Tage nicht gesprochen. Ein kaltes Ottakringer aus dem Kühlschrank sollte seine Kehle ein wenig beruhigen

Seufzend legte seine Frau das Küchenmesser am Schneidbrett ab. „Deswegen warst du also die letzten Wochen im Keller? Hättest dir nicht ein normales Hobby suchen können, wie jeder andere Pensionist? Eine Modelleisenbahn vielleicht?“ Fast verschluckte Hans sich an seiner Hopfenlimonade. Von seiner eigenen Frau hatte er sich eigentlich mehr Unterstützung erwartet, immerhin ebnete er mit seinen Nachforschungen den Weg in eine Zukunft ohne Diktatur und Unterdrückung durch Reptiloide.

„Du“, sein Satz wurde von einem Rülpser unterbrochen, „musst ja selbst sehen, dass es in Österreich nicht mehr mit rechten Dingen zugeht!“ – „Ja, Korruption und Lobbyismus sind aber nichts Neues.“ Kopfschüttelnd stellte Hans seine Dose ab und drehte sich um. „Denk doch einmal nach! Den kleinen Bürger wollen sie klein halten und die Elite wird immer reicher!“ Seine Stimme wurde immer lauter. Langsam zeichneten sich sogar Adern zwischen all den Leberflecken auf der Halbglatze ab. Fast hätte man meinen können, der Herzinfarkt stünde kurz bevor.

„Johann Moser! Schrei mich nicht an! Schreien kann ich nämlich auch!“ entgegnete Resi ihrem Mann. Jahrelang hatte sie sein Temperament ertragen, doch sein Verhalten seit dem zweiten Lockdown brachte das Fass zum Überlaufen. „Und so einen Blödsinn will ich auch nicht mehr hören!“ Genervt schnappte die Frau sich wieder das Messer und fuhr damit fort, die Karotten kleinzuschneiden. Nach Worten ringend fuchtelte und gestikulierte Hans herum. Doch plötzlich wurde ihm alles klar. Ganz ohne rote Wollfäden erkannte er die schockierende Wahrheit. „Du gehörst auch dazu.“ Sein Herzschlag wurde schneller und er wich zurück. Schnellen Schrittes stolperte er zur Haustür hinaus, stieg in sein Auto und kam nie zurück.

© Thomas Roschitz 2022-07-25

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