von Lena Hecker
Als wir uns wieder zum Schreiben verabreden, bleibt das Blatt leer, die Tasse Kaffee voll, weil wir über alles reden, was uns nervt und die Kritik aus dem Kurs verschweigen, dass die Protagonistin der Geschichte nicht echt genug war und ich mich seitdem etwas unrealistisch finde. Weil er der Student ist, der dich eigentlich irgendwie versteht und nur deshalb in den Kurs gekommen ist, weil er die Geschichten der Menschen in deren Gesichtern geschrieben sieht. Und die Charaktere, die er erschafft anscheinend genau deshalb nicht greifbar genug sind, dabei saß ich direkt gegenüber von ihm. Er sieht den Prozess des Schreibens als eine Art Zuflucht aus der Realität, mit seinen fiktiven Charakteren in seiner romantisierten Welt, in der die Protagonisten sich kennen, ohne jemals nachfragen zu müssen. Weil er nie nachgefragt hat, weil er mich nie gefragt hat, was ich denke, wie ich denke, woran ich denke. Er liest mir seine Texte nicht vor, weil ich sie gleichzeitig mit allen andere hören werde, obwohl sie von mir handeln, ohne von mir zu sein. Die Zeilen, die so viel von mir haben und gleichzeitig nicht echt sind.
Ich möchte das Leben realistisch romantisieren. Es gibt vielleicht kaum Männer, die dir täglich die Tür aufhalten, dir Frühstück ans Bett bringen und fragen, wie du das neue Taylor Swift Album findest. Aber ist es zu viel verlangt, mit zwei Kopfhörern im Ohr nach Hause laufen zu wollen, dass jemand fragt, ob es in Ordnung ist, bevor der Penis in mir drin steckt und er bei dem Gedanken an ein Kondom nicht das Gesicht verzieht, weil er ja einfach zu fucking groß für eins ist und es sich einfach nicht so gut anfühlt? Ich kann es langsam nicht mehr hören, wenn in Podcasts philosophiert wird, ob Frauen eher ohne Handy oder Schminke leben könnten und was sie wohl für Hobbys haben. Und wenn man ihnen wirklich antwortet, mit Lesen, oder Fußball, ist das eine doch kein Hobby und das andere wird nicht ernst genommen. Ist das Minimum noch zu viel verlangt? So wie jedes Mal, wenn ich mit Typen ausgegangen bin, die ich im Internet kennengelernt habe. Der eine, der wirklich nett war und mich respektiert hat und wir das Dessert vor dem Hauptgang gegessen haben. Mich danach aber angeschrieben hat, weil er so überrascht war, dass ich die Pizza überhaupt gegessen habe. Und als ich nachfragen musste, warum, er nur virtuell mit den Schultern zuckend antwortete, weil ich ja so dünn sei und er einen Salat erwartet hätte. Oder der andere, der mir seine Zunge beim ersten Date in aller Öffentlichkeit in den Hals gesteckt hat, obwohl ich davor zu ihm meinte, dass ich sowas gar nicht mag. Oder der Letzte, der mit seiner Ex geschlafen hat, bevor er dann im Auto mit mir rumgemacht hat und Ich liebe dich sagte. Und ich ohne Überzeugung Ich dich auch geantwortet habe, weil ich das Gefühl hatte, es sagen zu müssen, um ihn nicht schlecht fühlen zu lassen. Nur damit er mir dann eine Woche später erzählt, das alles etwas zu voreilig war.
Jetzt schleiche ich durch eine fremde Einzimmerwohnung. Ich kriege kein Ich liebe dich, Desserts vor dem Hauptgang oder feuchte Küsse mitten in der Stadt. Ich mache mir Frühstück, höre dabei das neue Taylor Swift Album, wenigstens fragt er mich jedes Mal, ob alles okay ist, bevor er seinen Penis in mich reinsteckt und mir einen Orgasmus verschafft. Und man kann verdammt nochmal nicht alles haben.
© Lena Hecker 2024-03-09