von Gina Lawniczak
Ich sag’s jetzt einfach mal so, wie’s ist: Deutschland hat ein Alkoholproblem.
Willkommen im Land, wo ab 16 Pils und Riesling fließen. Alman am Wochenende be like: morgens mittags abends, ich will saufen. Morgens halb 10 in Deutschland gibt‘s ganz sicher kein Hanuta. Löschware im Anflug aufs Nachbargrundstück. Anstoß zum Elferzug – ein, zwei Hopfenblütentee. 12 Uhr ein Bierchen zum Mittagessen, hicks, dann ein Rausch-aus-Schläfchen. Geh mal Bier hol’n. Du wirst schon wieder hässlich. Am Abend ain, swai, via Bia, voll surechnungsfehich beim Abendessen, im Badezimmer einpennen, mit Kater und Hose unten aufwachen, Konterbier, den selben Song nochmal. Alles klar, den selben Song. Und los! Ich intubier-bier-bier-bier.
12. Mann, befeuchte er seine Kehle, gröhle, verdresche und verschütte er, was der Zug hält, denn der hat bekanntlich keine Bremse. Der Herr auf dem Fahrrad mal ins Röhrchen pusten, bitte. Holla, ist dir etwa ein Gebirgswässerchen zu viel über die Leber gelaufen? Wie geht es den schon grauen Zellen?
Framstag bei Penny: Jägermeister, die 0,7 Liter Flasche für nur 9,99€. Erstmal zu Penny.
Alkohol ist dein Sanitäter in der Not. Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot. Feiertag: vorm Essen Sekt, beim Essen Wein, aufs Eis bisschen Eierlikör, Verdauungsschnäpschen und dann den Rest vom Sekt, wär ja schade drum und alleine saufen macht fett. Ne Bowle auf die bestandene Fahrprüfung! Marathon geschafft – ein isotonisches Hopfengetränk? Auf der Tanzfläche kleben Gin Tonic, Rum Cola, Wodka-E, Tequila mit Zitrone und Salz – erst dann knallt’s! Neues Jahr? Sekt, ist klar! Klopfer, Ficken und Corona für die ganz Lustigen. Reh in Rotweinsoße. Whisky oder Whiskey – ganz was Unterschiedliches! Festivalfreunde, ladet die Paletten auf den Bollerwagen, trichtert euch das ein, auf zur Flunkyballmeisterschaft. Zum Frühstück Canapés und ein Wildberry-Lillet.
Rotkäppchen geh zur Großmutter, bring ihr Katerfrühstück und Sekt. Ihre Lippen so rot wie Wein, ihre Haut so weiß wie Malibu und ihr Haar so schwarz wie Schwarzer Kater. ‚S gibt Kerstins Eierlikör, Amaretto, Kräuter, selbstgemachten Kirsch von der Oma. Komm schon, den kleinen Schnaps wirste wohl vertragen. Biste schwanger, oder was? Wie Wasser, willste dich waschen?
Und dann denk ich dran, wie ich die ganze Nacht wach war, damit er nicht an seiner eigenen Kotze erstickt. Oder am Morgen danach beim Waschen des Bettlakens selber fast gekotzt hätte. An meine Schulfreundin, damals vierzehn, die ich durchs Stadtzentrum getragen habe, in der Hoffnung, sie würde sich wieder erinnern, wo sie wohnt. An meine Mitbewohnerin, die ich daran hindern musste, sich im Club auszuziehen, die es aber später nicht mehr selbst konnte. Die ich auf ihrem Bett fixieren musste, damit sie sich nicht ständig ihren Kopf an der Wand anschlägt. An die Panik beim Notruf, weil Freunde nicht mehr wach wurden. Ich denk an die Leute vorm Bahnhof, die dort hinpissen und scheißen und leere Flaschen zertrümmern.
© Gina Lawniczak 2023-10-01