von Franz Brunner
10.200 m ĂŒber dem Meer. Im Osten die Stadt Casablanca. NatĂŒrlich hat mir meine Liebste einen Fensterplatz reserviert, ich bin ja höchst interessiert an der Tektonik des Planeten. Also Nase an die Scheibe gepresst und EindrĂŒcke aufsaugen.
Your captain speaking. Minus 58° Celsius. Leichte Turbolenzen, wir sollten auf den SitzplĂ€tzen bleiben. Also haben wirâs brav gemacht, alle 200 Passagiere des Fluges Salzburg – Las Palmas. Verbleibende Flugzeit: Eine Stunde und ⊠den Rest habe ich nicht verstanden, weilâs plötzlich laut wurde. Ein Problem zum schlechtesten Zeitpunkt. Ăber dem Atlantik.
Die Stimme der Flugbegleiterin ĂŒberschlug sich: âWir haben einen Notfall. Wenn ein Arzt an Bord ist, bitte sofort melden.â Sekunden spĂ€ter stolperte sie an uns vorbei in Richtung des Unruheherdes in den letzten Reihen. Dazwischen bot eine Krankenschwester UnterstĂŒtzung an, folgte der hektischen Retterin im Windschatten. Nein, ich geh da nicht mit, da sind schon genug Experten. Kurz darauf eilte eine zweite Stewardess zum ungewöhnlichen Einsatzort, hielt einen knallig-orangen Koffer mit dem Rot-Kreuz-Symbol in die Höhe. Die Ankunft der Utensilien, wie sich gleich zeigen sollte, Ă€uĂerst kompakt und flugtauglich verpackt, befeuerte die Unruhe. Höchste Zeit, sich doch einzuschalten. Ich gab mich als RettungssanitĂ€ter zu erkennen und drĂ€ngte mich durch die Public-Viewing-Gruppe.
Eine fahrige, grauhaarige Dame der Generation 60++ gab gerade das Stöbern im Koffer auf und meinte achselzuckend: âKeine Blutdruckmanschette.â Sie wandte sich der Patientin, einer blassen, jedoch ansprechbaren Mitt-Vierzigerin zu, um eine Anamnese zu versuchen. Derweilen ĂŒbernahm ich das Kommando ĂŒber den Koffer und erblasste vor Neid: Top-Zustand, klinisch sauber, unzĂ€hlige Beutel mit Sichtfenstern. Mit Etiketten zugeklebt. Auf Englisch. Nach dem Lösen sĂ€mtlicher KlettverschlĂŒsse wurde ich fĂŒndig: DIAGNOSTICS! Blutdruckmanschette raus und rauf damit. Die Ărztin murmelte etwas von Blutzucker, jetzt warâs ja leicht. Rasch war gestochen und gemessen. Im grĂŒnen Bereich. Derweilen orakelten 2 bĂ€rtige Flugbegleiter, welche der RĂ€dchen an der herbeigezauberten Sauerstoff–Flasche die richtigen seien. Keine Hilfe notwendig, sie sind ja geschult, meinte einer grimmig. Ich zeigte trotzdem mit dem Finger hin, dann gingâs. Das Pulsoxymeter, das mir aus dem knalligen DIAGNOSTICS-Beutel entgegensprang, meldete 98 %. Kein Sauerstoff, meinte Frau Doktor. Vermutlich eine KreislaufschwĂ€che, bedingt durch das Kabinenklima und die starke Morgensonne. Langsam erholte sich die Patientin, die Rufe nach Notlandung verstummten. Eine Freundin der GeschwĂ€chten kĂŒmmerte sich den Rest des Fluges um sie, weitere Probleme blieben aus.
Was ich an Erfahrungen mitnehme? Man sollte den Inhalt seiner Taschen kennen, auĂerdem sind Englischkenntnisse kein Fehler. Und ja, ganz wichtig: Ăber den Wolken steigt das Adrenalin schneller, was mit dem Luftdruck gar nichts zu tun hat. PS: In Deutschland kommen 4,5 Ărzte auf 1.000 Einwohner, rein rechnerisch befinden sich damit unter 180 Passagiere in einem Flugzeug 0,81 Ărzte. GlĂŒck gehabt, wir hatten eine 81%-ige Ărztin an Bord :-)
© Franz Brunner 2022-12-05