Dichte Tage oder Die Sprachen der Liebe

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Seit Pfingstmontag nehme ich mir vor, den Artikel über die „fünf Sprachen der Liebe“ hervorzukramen, den ich vor Jahren in eine Klarsichtfolie steckte und in einem Ordner ablegte, damals, als Gary Chapmans Basiswerk für Beziehungen herauskam.

Am Montag wanderte ich mit I. durch die Weingärten bei Thallern. Plötzlich waren sie Gesprächsstoff, die Sprachen der Liebe, als ich sie fragte, wie die Treffen mit ihrem letzten Date verlaufen seien. Im Sande, sagte sie. Er habe ihr keine Komplimente gemacht. Er habe den Kanal, auf dem sie empfänglich ist, nicht gefunden.

Waschelnass kam ich von der Wanderung nach Hause. Ich öffnete den Kühlschrank, um mir ein Glas Wein einzuschenken. Der Regen prasselte sein eintöniges Lied auf die Lichtkuppel meiner Küche. Als ich einen Blick nach oben warf, erschrak ich. Ein etwa 80 Zentimeter langes, sprödes Stück der Dichtung hatte sich aus der Verankerung gelöst und baumelte frei von der Decke.

Nicht ganz dicht. Da fiel mir die Bemerkung eines Therapeuten ein, der einst meine Aussage, ich sei offen für alles, mit einem verschmitzten Lächeln quittierte und beiläufig meinte: Wer offen ist für alles, der kann nicht ganz dicht sein. Manche Sätze sitzen. Dieser hat seine Wirkung nicht verfehlt.

Kurz und gut, die Suche nach den fünf Sprachen der Liebe rutschte auf meiner To-do-Liste weiter nach unten. Die Abdichtung der Lichtkuppel erschien mir als dringlicheres Problem. Ich vereinbarte mit der Spenglerfirma einen Termin für Freitag und hoffte auf trockenes Wetter bis dahin. In der Zwischenzeit wollte ich mir überlegen, wofür ich offen bin und wofür nicht.

Ich freute mich auf Mittwoch und das Treffen mit A. Der Stadtwanderweg 6 stand auf dem Plan, der wochentags kaum frequentiert ist. Umso intensiver war unser Austausch. Als wir eine Rast einlegten, überreichte sie mir ein Packerl. Es enthielt die farblich schönsten selbstgestrickten Socken, die je ein Auge gesehen hat. Und plötzlich ist mir klar, welche Sprache der Liebe es ist, die mich in der Tiefe berührt. Es ist die Sorgfalt und der Zeitaufwand, die in einem Geschenk stecken, das von Herzen kommt.

Diese Woche hat die Liebe täglich mit mir gesprochen. Sie will offensichtlich, dass ich polyglott werde. Ich habe aufmerksam hingehört. Ich habe erwidert, so gut ich konnte. Am Donnerstag sprach sie kulinarisch und kredenzte im Co-Housing-Projekt Strasshof Spargelrisotto und Grünen Veltliner. Am Freitag, nach der Abdichtung der Lichtkuppel, sprach sie durch die Blume. So kam der vierblättrige Klee in meine Hände, zusammen mit einem verspäteten Geburtstagsgeschenk, der von H. gestalteten Mappe für lose A4-Blätter, ideal zum Sammeln meiner story.one-Texte.

Gestern traf sich die Biodanza-Gruppe zu einer Wanderung. Da wurde geknuddelt und umarmt und der Berührungstank aufgefüllt.

Heute kramte ich endlich den Zeitungsartikel hervor über die fünf Sprachen der Liebe. Bleibt nur noch die Frage, wofür bin ich offen und wofür nicht.

© Sonja M. Winkler 2021-05-30

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