Die Abendglocken lÀuten

Cavia

von Cavia

Story

Wie ist es, wenn Gesellschaft zu Ende geht? FĂŒhlt es sich so an wie jetzt? Zwischen den Fronten zu stehen, wenn die Lager ihre GeschĂŒtze verschĂ€rfen, wĂ€hrend sich viele in Sicherheit wĂ€hnen.

Aber unsere Gesellschaft? Von ihr werde ich mich wohl verabschieden mĂŒssen. Ich werde nicht mehr dazugehören, vielleicht kein Geld, keinen Status haben, keinen Beruf mehr in ihr ausĂŒben können. Vielleicht auf engen Raum leben mĂŒssen, vielleicht alles hergeben mĂŒssen, was ich besitze.

Widerstand gegen das momentane Vorgehen scheint noch sinnvoll, oder besser gesagt stellt es sich fĂŒr mich als die einzige Möglichkeit dar, ein menschenwĂŒrdiges Leben in Österreich zu erhalten. Ich bin es meinen Werten von Liebe, Freiheit und Toleranz schuldig jetzt “Nein” zu sagen.

Aber: ich war es meinen Werten nicht schuldig, all die vielen Dinge zu gebrauchen, von denen ich wußte, dass sie nur durch UnterdrĂŒckung, Ausbeutung und Mißachtung menschlicher Werte in meine HĂ€nde und mir zu Diensten gelangen konnten. Der Erde abgerungen, durch das Leid vieler Menschen und der Bereicherung der anderen ermöglicht, fĂŒr mich und fĂŒr die Gesellschaft, zu der ich gehören wollte.

Jetzt lÀuten die Abendglocken. Jetzt geht es auch mir an den Kragen. Besser gesagt an den Oberarm. Aber ich will nicht. Damit gehöre ich zu einer Gruppe Menschen, die je nach Lager unterschiedlich bewertet und betrachtet werden.

Was soll ich da sagen, was soll ich da denken außer: “Life is a game, play it!” Ein bisschen zu salopp vielleicht?

Und doch: Das Leben ist ein Schauspiel, schon immer. Jeder Mensch hat da seine Rolle zu spielen. Die Bösewichte genauso wie die Guten, die Braven wie die Schlimmen, die Fleißigen wie die Faulen, die Tapferen wie die Feigen, die Dummen genauso wie die Klugen. Kasperl, Petzi, Großmutter, Wachtmann, RĂ€uber und Krokodil. Sie alle sind auf der BĂŒhne des Lebens versammelt und geben ihr bestes. Solange bis der Vorhang fĂ€llt.

Allein die Erinnerung an diese Gewissheit, die ich tief in mir fĂŒhle, hilft mir zu leben, zu lieben, zu lachen. Kann sein, ich befinde mich in einer schon lange geschriebenen Inszenierung oder im Theater des Augenblicks. Ich bin mitten drinnen und spiele meine Rolle. Egal, wenn dieser Gedanke manchen zu einfach ist, wenn er mir selber immer wieder zwischen den Fingern durchrutscht. Ich hebe ihn immer wieder auf, fĂŒhle ihn immer wieder aufs Neue. Er hĂ€lt stand!

Ich habe meinen Standpunkt gefunden. Von hier aus gibt es manche Standpauke zu hören und meine Standfestigkeit steigt. Der Sturm wird stĂ€rker – ich auch!

© Cavia 2021-11-25