von Seelenworte
Achtsamkeit ist ein Thema, das mich seit langer Zeit umtreibt. Ich habe mich viel damit beschäftigt und diverse Techniken dazu geübt. Im Alltag habe ich die Achtsamkeit integriert. Ich war Meisterin darin, mich in den Zustand der Hingabe zu bewegen und konnte meditativ viele Arbeiten verrichten. Die Geräusche der Welt verstummten und ich war in meiner inneren Welt wunderbar geborgen. Obwohl ich mich in mir selbst verankert fühlte, spürte ich, wie ich mich immer mehr von der Welt entfernte.
Die Welt mit ihren Geräuschen und Unzulänglichkeiten war mir zu viel, meinem Zustand des Eins-Seins nicht würdig. Die Achtsamkeit brachte mich wohl zu mir, jedoch nicht zu meinen Mitmenschen. Jahre später hat mir eine weise Frau gesagt, dass Meditation auch eine Flucht sein kann. Das war mir bis dahin nicht klar gewesen. Überall hieß es, Meditation ist das Beste und sie regelmäßig zu praktizieren bringt Harmonie ins Leben. Ich fühlte, wie der Boden unter mir zu schwanken begann und mir bewusst wurde, dass ich mein Leben auf einer meditativen Basis aufgebaut hatte, um mich dem Leben nicht stellen zu müssen.
Bei einer systemischen Aufstellung zeigte sich, dass mein Blick nicht auf Welt gerichtet ist, sondern, dass ich der Welt den Rücken zuwandte und in meine eigene Welt blickte. Diese Erkenntnis schmerzte einerseits, andererseits war ich froh, endlich den missing link gefunden zu haben. Ich hatte die wunderbare Technik der Achtsamkeit perfektioniert, um der Welt zu entfliehen. Später erfuhr ich, dass es sich bei diesem Phänomen um spirituellen Egoismus handelt. Also begann ich, mich meinen Schmerzthemen zu stellen. Ich meldete mich für eine Ausbildung an, die mich extrem triggerte, ich aber genau spürte, dass ich da weiterkommen würde. Bisher hatte ich die Schatten ausgeblendet und nur das Licht gesehen. Unsere Welt besteht jedoch aus beiden Seiten. Ich ließ mich weit in meine unperfekte Menschlichkeit fallen und fand eine ganz neue Anbindung an das Leben und die Welt. Ein langer Prozess, der mich bis an das Lebensende begleiten wird.
Heute nähere ich mich der Achtsamkeit wieder an und merke, wievielt tiefer ich im Leben angekommen bin. Wie wichtig mein Körper für die Wahrnehmung geworden ist. Wenn ich jetzt jenseits des Denkens verweile, kommt zum Vorschein, wer ich wirklich bin. Hier als Mensch auf Erde. Die Stille ist meine Freundin, eine Freundin die mir ehrliches Feedback gibt. Darüber wo Licht und Schatten in mir liegen, ohne die Schatten in Licht verwandeln zu wollen. Den Spruch „Es ist immer jetzt“ triggert mich nicht mehr, weil ich nicht meinem Ego entfliehen muss und alles loslassen will, sondern weil ich die Kraft der Gegenwart in meinem ganzen Körper spüre und die Widerstände des Egos akzeptieren.
Jederzeit habe ich die Möglichkeit mich zu verändern und ich weiß, dass das was ist, gar nicht anders sein könnte. Alle Schritte im Leben sind genauso nötig, wie sie gemacht wurden. Diese Erkenntnis schenkt mir Trost und eine große Liebe zum Leben und zum Menschsein.
© Seelenworte 2023-05-13