Als klassenfĂĽhrende Volksschullehrerin in Wien, sah auch ich mich, wie hunderte Kolleginnen und Kollegen, 2015/16 mit einer Vielzahl von einzuschulenden afghanischen und syrischen FlĂĽchtlingskindern konfrontiert.
Adil, der – bevor seine Familie eineinhalb Jahre später Asylstatus bekommen sollte – zu diesem Zeitpunkt noch in einem großen Flüchtlingshaus wohnte, konnte, wie auch die anderen Kinder, die wir von dort an der Schule hatten, u.a. auf Grund von wenig Privatsphäre, eines hohen Lärmpegels und Raufereien zwischen den männlichen Asylwerbern, in der Nacht kaum ein Auge zutun.
So schlief der Bub meistens bis zur Esspause um 10:00, um dann langsam aufzuwachen und sich – vorerst nur zögerlich – aber schlussendlich immer häufiger am Klassengeschehen zu beteiligen. Die Kinder fanden es immer sehr lustig, wenn Adil entweder auf seinem Platz sitzend den Kopf in die Arme gelegt oder auch im Morgenkreis liegend oftmals tief schnaufte und immer wieder lauthals zu schnarchen begann. Mit der Zeit gewöhnten sich die Kinder daran und ließen ihn schlafen, langsam verringerte sich Adils Schlafdefizit. Dennoch dachten wir, dass der Bub wohl nicht viel vom Tagesgeschehen und dem ganzen Rundherum mitbekommen würde.
Als wir am Tag meines Geburtstages vom Schulschwimmen in den Klassenraum zurückkehrten, stand eine riesengroße, noch warme Sachertorte auf meinem Lehrertisch. Verwundert konnte ich mir darauf keinen Reim machen, da mein Geburtstag zwar wie der der Kinder auf dem Klassen-Geburtstagskalender zu sehen war, wir ihn aber nicht feierten. Neben der Torte stand auf einem Blatt Papier in grüner Druckschrift geschrieben: „Alles Gute zum Geburtstag“, darunter eine Unterschrift, die ich nicht kannte.
Kurz darauf kam meine Direktorin zu uns in die Klasse, um die Überraschung zu lüften: Adils Mama war mit der frisch gebackenen Torte in die Direktion gekommen, um in gebrochenem Deutsch zu erklären, Adil hätte gemeint, heute wäre der Geburtstag seiner Lehrerin. Außerdem bat Adils Mutter, ihr „Alles Gute zum Geburtstag!“ vorzuschreiben, um den Zettel zur Torte legen zu können. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie der Bub uns beobachtete, um verschämt, aber freudig über unsere Begeisterung zu lächeln. Offenbar hatte er viel mehr mitbekommen, als wir alle gedacht hatten.
Beim Hinausgehen meinte meine Direktorin inbrünstig: „DAS nenne ich Integration! Eine afghanische Mama bäckt eine echte Wiener Sachertorte für die Klasse ihres Sohnes!“
© Martina Wiesinger 2021-09-17