Neulich fiel mir ein komischer Vogel auf. Eine Amsel, die im strömenden Regen auf dem BalkongelĂ€nder saĂ und mich skeptisch ansah. Sie machte keine Anstalten, Schutz vor dem Regen zu suchen. Einmal öffnete sie den Bruchteil einer Sekunde ihren Schnabel, schloss ihn aber sofort wieder, weil ihr bei dem Wetter wohl doch nicht nach fröhlichem Gesang zumute war. Sie hatte ein wenig Nistmaterial neben der GieĂkanne gehortet. Hatte sie zu viel ĂŒber die Umweltzerstörung nachgedacht und war darĂŒber depressiv geworden? Nach einer ganzen Weile verlieĂ die Amsel ihren Posten auf dem GelĂ€nder, weil sie sich mit einem waghalsigen Flugmanöver vom GelĂ€nder in die Tiefe stĂŒrzte. Gegen Abend hatte sie sogar noch so etwas wie ein Nest zustande gebracht. Doch Wind und Regen brachten es bald zum Absturz. Ich sah dem Trauerspiel betrĂŒbt zu. War das etwa die Absicht der Amsel gewesen? An so einem regnerischen, stĂŒrmischen Tag war es nicht ratsam, ein Nest zu bauen. Daraufhin nannte ich die Amsel Sisyphos. Vielleicht wollte sie gar nicht fertig werden und platzierte deshalb Nistmaterial an ungeeigneten Stellen, sodass alles wieder verstreut wurde und sie immer wieder neu anfangen musste. Zwei Tage spĂ€ter sah ich bei Sonnenschein einige fröhliche Amseln herumhĂŒpfen. Vielleicht war Sisyphos dabei und hatte mal einen freien Tag.
An einem anderen stĂŒrmischen Tag war ich am See. Ich wĂ€re beinahe ĂŒber ein Stockenten-Weibchen gestolpert. Es war in atemberaubender Geschwindigkeit im Flug herangeprescht und hinter mir auf dem Boden gelandet, wo es nun trotzig sitzen blieb. Als ich mich umdrehte, war da jedenfalls plötzlich diese Ente vor meinen FĂŒĂen. Ich machte einen höflichen, kleinen Bogen um sie, um sie nicht zu stören und blieb dann noch einen Moment stehen. Die Ente sah mich friedlich an, sie hatte keine Angst vor mir. Dann plusterte sie ihr Gefieder auf und lieĂ ihren Kopf in den Federn verschwinden. Vom Sturm wollte sie wohl nichts mehr wissen.
Ich hatte vor einer Weile einmal eine Art Spottgedicht geschrieben, in dem ich das Entenleben mit dem Studentenleben verglich â und zu dem Schluss kam, dass die Enten es zurzeit besser haben. DĂŒrfen schwimmen und fliegen, wohin sie wollen, sich in groĂen Gruppen treffen und jede Menge schnattern und quaken â keine Pandemie. Bis ich etwas ĂŒber einen neuen Ausbruch der Vogelgrippe las. Die war bei besagter Begegnung mit der Ente aber glĂŒcklicherweise wieder fast vorbei. Doch das zeigt, dass man den anderen nicht automatisch unterstellen kann, sie seien in einer besseren Lage â selbst wenn âdie anderenâ zufĂ€llig Enten sind!
Einmal beobachtete ich am See auch Möwen, die gegen den Sturm anflogen. Sie hingen in der Luft und flogen ĂŒber den wilden Wellen auf der Stelle. Hatten sie SpaĂ dabei? Oder war es eher ein Auf-der-Stelle-treten? Vielleicht die geflĂŒgelte Variante eines Sitzstreiks gegen die Klimakrise?
Es lohnt sich jedenfalls, diese Tiere zu beachten. Denn vielleicht haben sie eine Botschaft fĂŒr uns âŠ
© Anna Theresa Schreiber 2021-05-13