von Sarah Zajusch
Manche sagen, alles Gute hat ein Ende. Olivia stand gerade vor der Entscheidung, ein solches Ende herbeizuführen. Das Ende ihrer schon seit langem bestehenden Beziehung zu Chris. Sie hatten ursprünglich eine sehr starke und innige Verbindung zueinander gehabt. Nichts hatte sie trennen können. Das Leben hatte sich so leicht angefühlt. Doch nun war alles anders. Es gab nichts mehr, was Olivia noch hielt. Im Gegenteil: Ihre Beziehung zu Chris hatte etwas Toxisches angenommen. Sie fand, es wäre einfach das Beste, von nun an getrennte Wege zu gehen. Also traf Olivia die einzig richtige Entscheidung und beendete die Beziehung. Ein paar Worte reichten aus. Nur wenige Sekunden und schon war alles vorbei. Die beiden brachen jegliche Verbindung zueinander ab.
Die Zeit verging. Manchmal vermisste Olivia Chris. Trotz allem was passiert war. In ihren schwachen Momenten war sie kurz davor, Chris zu kontaktieren, ihm zu sagen, dass es ihr leidtäte und ihm zu fragen, ob sie wieder ein Paar sein könnten. Doch sie riss sich zusammen. Tief im Inneren wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es konnte nie wieder so sein, wie es mal gewesen war.
Die Zeit verging. Olivia war inzwischen in einer neuen Beziehung und sehr glücklich. Hin und wieder dachte sie an Chris. Wie es ihm wohl ginge?
Die Zeit verging. Chris tauchte nur noch selten in Olivias Erinnerungen auf. Sie sah ihre Kinder aufwachsen. Und dann ihre Enkel. Niemand von ihnen wusste, wer Chris war und dass es ihn überhaupt mal gegeben hatte. Olivia sah in ihrem Leben unzählige Beziehungen entstehen und wieder zerbrechen.
Die Zeit verging. Olivia lebte schon längst nicht mehr. Ihre Enkel und deren Enkel lebten schon längst nicht mehr. Die Sonne wurde heißer, die Ozeane verdampften. Immer weiter dehnte sich die Sonne aus, bis der Planet Erde komplett verglühte.
Die Zeit verging. Die Brennstoffvorräte der Sonne waren komplett verbraucht. Übrig blieb ein weißer Zwerg, der nach und nach erlosch. Etwa zur selben Zeit kollidierte die Milchstraße mit der Andromeda-Galaxie. All das, während das Universum sich fortwährend ausdehnte.
Angenommen, Olivia wäre ein Atom gewesen, das anstelle einer Liebesbeziehung seine chemische Verbindung zu einem anderen Atom oder Molekül getrennt hätte, dann hätte dieser Prozess nur wenige Attosekunden gedauert. Eine Attosekunde entspricht 0,000000000000000001 Sekunden. Das bedeutet: Wenn für Olivia nach der Trennung mehrere Milliarden Jahre vergehen, was etwa dem Alter unseres Universums entspricht, ist für uns nur eine einzelne Sekunde vergangen. Das sprengt schier unser Vorstellungsvermögen. Und zwar gewaltig. Da wäre es ja mehr als verrückt, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anfangen würden, Grundlagenforschung auf Attosekunden-Zeitskalen zu betreiben, nicht wahr?
… Nicht wahr?
© Sarah Zajusch 2025-02-08