von Hannes Stuber
[2024] Um halb vier heulte der Wecker los. Ich machte mich reisefertig für eine Tausend-Kilometer-Fahrt, packte das Wohnmobil und ratterte als Erstes nach Wien. Hier weckte ich einen Freund, der nach Göttingen mitfuhr. Dort trafen sich dieses Jahr die Rainbow People, und wie jedes Jahr für vier Wochen. Mit einem Kaffeestop bei Regensburg schaffte ich die Strecke trotz brutaler Julihitze und ohne Klimaanlage in einem Zug. Aber ohne Zug.
Auf einer Wiese nahe Göttingen sammelten sich die Zelte. Zu Tausenden strömten sie, meist nur mit Rucksack und Zelt bepackt, aus allen europäischen Ländern herbei, um zu feiern, zu singen und zu tanzen. Außerdem waren sie für den Weltfrieden. Jedes Jahr suchte man einen Platz in der freien Natur, fern den Siedlungen der Menschen, oft im Berg- oder Hügelland. Diesmal jedoch war der ausgewählte Platz zu klein für die Massen.
Mein erstes Rainbow Gathering lag vierunddreißig Jahre zurück. Das war in Österreich gewesen. Danach besuchte ich die jährlichen Treffen in Irland, Slowenien, Tschechien, Portugal und Ungarn. Seit einem Vierteljahrhundert war ich nicht mehr dabei. Das Rainbow Gathering war ein spiritueller Output der Hippy-Bewegung, die ersten Treffen hatte es in den USA kurz nach dem Woodstock-Festival gegeben. In den Achtziger Jahren hatte sich die Bewegung nach Europa verbreitet.
Sie sahen nicht aus wie die Mitte der Gesellschaft. Einige kamen sogar wie mittellose Obdachlose daher, wild und abgerissen, manche waren Indienfahrer oder Drogensüchtige. Zweimal täglich, am Morgen und am Abend, versammelten sie sich zu einem großen Kreis auf der Wiese, reichten sich die Hände und sangen Om. Dann setzten sie sich, und aus riesigen Töpfen wurde vegetarisches Essen verteilt. Fleisch oder Alkohol gab es nicht. Jeder hatte Schüssel und Besteck bei sich. Nach dem Abendessen entzündeten sie ein großes Feuer im Zentrum des Kreises und trommelten und sangen die halbe Nacht. Einige Frauen tanzten dabei halb nackt um das Feuer wie bei einem Hexensabbat.
Viele kannten sich seit Jahren. Sie bezeichneten sich als Regenbogenfamilie, nannten sich Bruder und Schwester. Sie waren friedlich, aber wo immer sie auftauchten, verursachten sie Unruhe in der Provinz. Den Einheimischen erschienen sie wie ein Schwarm langhaariger Termiten, die einfielen, die man nicht aufhalten konnte und die nach vier Wochen wieder weg waren. Ohne eine Spur, denn sie legten Wert darauf, die Natur zu hinterlassen, wie sie sie vorgefunden hatten.
Diesmal war der Platz zu klein, man musste umsiedeln. Ich nahm ein paar Leute mit und fuhr zum neuen Ort. Leider lag dieser in einem Naturschutzgebiet, was Probleme bedeutete. Die Rainbow Jünger strömten nichtsdestotrotz in das Gebiet. Schwierigkeiten mit Behörden, Förstern und Polizei ahnend, blieb ich im Wohnmobil, überlegte eine Weile und fuhr dann nonstop nach Hause in die Steiermark. Im Internet las ich in den kommenden Tagen von viel Ärger mit der Polizei, von Anzeigen und Händel. Doch man konnte die zweitausend Leute nicht vertreiben. Nach vier Wochen waren sie wieder weg.
© Hannes Stuber 2025-01-29