Die Baum-OP

KlaraFrühling

von KlaraFrühling

Story

‚Das tust doch jetzt nicht wirklich, oder? ‚, frag ich ihn recht schockiert.

‘Warum nicht? Worauf soll ich denn warten?‘, spricht mein Tischler-Vater, nimmt seine Handsäge und beginnt wie ein Wilder einen Ast vom Baum zu sägen. ‘Da oben fehlt ein Ast, da unten ist einer zu viel. Den Ast da schneid ich zurecht und dann schraub ich ihn oben an. Das merkt eh keiner‘, erklärt er mir selbstbewusst. Ich steh neben ihm und beobachte das Spektakel. Ich kann noch immer nicht fassen, was ich sehe. Sägt mein Vater doch tatsächlich am 24. Dezember unserem Christbaum einen Ast ab.

‘Warum habt ihr denn nicht gleich einen Baum gekauft, der dir auch gefällt?’, frag ich ihn etwas verwundert. Schließlich haben meine Eltern diesen Asthaufen mit echtem Geld bezahlt. Dicht ist halt was anderes. Etwas genervt murmelt er: ‘Die Staudn is grod, oben hots 4 Asteln, so wie sichs ghert, und sie woar billig.’ Ui, er fängt an im Dialekt zu sprechen und ich weiß, mein Mund sollte von nun an versiegelt sein. Streit beim Baumputzen ist ein No-Go.

‘Ast fällt’, ruft er triumphierend, legt das ersägte Teil zu Boden und hirscht in die Garage. Als er zurückkehrt, hat er seinen frisch aufgeladenen Akku-Bohrer (‚Die Tat war geplant!‘, schießt es mir durch den Kopf!) fest im Griff und hält Schrauben, Hammer und 100er Nagel in der anderen Hand. ‘Halt ihn genau so’, weist er mich an und sucht die passende Position für den abgesägten Ast am Baum. Nachdem ein Loch vorgebohrt wurde, wird die echte Nordmanntanne nun fachmännisch wieder miteinander verschraubt. Damit der Ast genau weiß, in welchem Winkel er zu stehen(hängen?) hat, wird ein Nagel darunter angebracht, der ihm als Stütze dient.

Mein Vater, der sehr zufrieden mit seiner Tannen-Beauty-Op zu sein scheint, überprüft kurz, ob der Ast ein paar Stunden später die Ursache eines Brandes sein könnte. ‘Passt scho’, hör ich ihn brummen und dreht den Baum nun in seine endgültige Position. Er, der Baum, ist zwar noch immer keine Augenweide, aber zumindest weist er nun keine Löcher mehr auf. Dass der Ast umgeparkt wurde, sieht niemand, außer man geht auf Nagelsuche.

Fachmännisch beginnt nun mein Vater mit dem Christbaum – Aufputz. Er, der Profi, hat ein System, von dem nicht abgewichen werden darf: Zuerst die Spitze, dann die Kerzen, gefolgt von den großen Kugeln. Anschließend werden mittelgroße Glocken, Kugeln und Zapfen gleichmäßig um den ganzen Baum verteilt. Dabei prägt er mir deutlich ein: ‚Schmück den Baam jo rundherum und net nur von vurn. Des schaut sunst schiach aus!‘ Zum Schluss werden die kleinsten Ornamente angebracht. Für den finalen Touch sorgt der Auftritt von Lametta.

Am Heiligen Abend stehen wir in der abgedunkelten Stube vor dem Baum. Die Lichter flackern und wahrlich auch aus einer billigen Staude kann ein wunderschöner Christbaum werden. Und obwohl ich für die natürliche Schönheit eines jeden plädiere und auf sämtliche Beauty-Produkte verzichte, geb ich ehrlich zu: Monchmol is a Makeover echt vui okay.

© KlaraFrühling 2021-01-07