von OlgaFlora
Meine Mutter achtete schon früh auf richtige Ernährung. Spinat zum Beispiel war sehr gesund. Besonders püriert und eingedickt mit viel Mehl, damit wir auch satt wurden. Ein dicker grüner Brei mit weißen Bröckchen drin. Zum Glück kam dann die Wahrheit über Spinat ans Licht. Dass er gar nicht so viel Eisen enthielt wie gedacht. Ende der wöchentlichen Spinat-Folter.
Im übrigen aß ich sehr gern Gemüse. Vor allem in Form von Ketchup, das schließlich aus Paradeisern gemacht wird. Brot mit Ketchup. Oder Nudeln mit Ketchup. Oder einfach nur Ketchup, wenn nichts anderes da war. Meine Mutter war zwar überzeugt davon, dass in einer Flasche Ketchup höchstens ein einziges Stückchen von einer Tomate versteckt sei , der Rest : reine Chemie. Außerdem war gegen Ketchup-Flecken sogar Persil machtlos , Ketchup, der Tischtuch-Killer. Das änderte nichts an meiner Leidenschaft .Und, seien wir einmal ehrlich, ein Schinken-Käse- Toast ohne Ketchup ist möglich, aber geschmacklos.
Ganz wichtig für Kinder ist Lecithin. Viel davon ist in Schokolade enthalten. Und so mutierte die berühmte Schilling-Bensdorp, eine gerippte Schokotafel , kaum größer als ein U-Bahn-Fahrschein, zur gesunden Jause. Aber nur, und das war wichtig, wenn man sie zwischen zwei Semmelhälften quetscht. Die Schilling-Bensdorp-Semmel war legendär , nahrhaft und im Gegensatz zum Spinat schmeckte sie richtig gut.
Auch Haferflocken sind reich an Lecithin. Mein gesundheitsbewusster Bruder begann also zu experimentieren. Er vermischte Haferflocken mit kalter und heißer Milch, raspelte Kochschokolade darüber und ein wenig Zucker. Dann ließ er den Matsch eine Zeitlang stehen, bis sich eine stichfeste klebrige Masse gebildet hatte. Das schmeckte so gut, dass wir es uns nicht nur zum Frühstück gönnten, sondern auch als Nachspeise , als frühes Abendessen oder als kleinen Nachtsnack. Meine Schwester, der jeder Brei zuwider war, schüttelte sich vor Ekel und biss lieber in ein Wurstbrot (zumindest in meiner Erinnerung, in Wirklichkeit gab es bei uns selten Wurst, es war also eher ein Liptauerbrot). Mein Bruder erfand Varianten mit zerdrückten Bananen, Honig statt Zucker, Orangensaft (der die Milch gerinnen ließ, grauenvoll!) oder Zimt. Irgendwann wurden unsere Hosen immer enger und unsere Gesichter immer breiter. “Muss an dem vielen Lecithin in den Haferflocken liegen.”, meinte mein Bruder. Meine Mutter aber sperrte Haferflocken und Kochschoko in einen Schrank und versteckte den Schlüssel. Unverständlich. Denn wovon sollten wir uns jetzt eine richtig gesunde Jause richten?
© OlgaFlora 2021-12-10