von Lena KeĂźler
Was sie alles besser macht und warum ich trotzdem kein schlechtes Gewissen habe
Es wohnt nur eine Tür entfernt. Gleich rechts in der Wohnung mit dem gelben Balkon und den akkurat bepflanzten Blumenkübeln. Dort, wo das kleine Windrad scheinbar mit einer Wasserwaage platziert wurde, wohnt das Grauen. Um seine Identität zu wahren, spreche ich fortan von „die Besser-Mutti von nebenan“.
Es begann an einem lauschigen Sommernachmittag als ich meinem Mini-Rabauken seine kleine Wippe auf den Balkon stellte. Fröhlich glucksend schwang er hin und her als plötzlich der erhobene pädagogische Zeigefinger in Form einer schrillen Stimme vom Nachbarbalkon zu mir sprach: „Ist das dein Ernst? Eine Babywippe, die automatisch schaukelt?“ Blankes Entsetzen spiegelte sich in den Augen der Besser-Mutti von nebenan. Sie trug eine aufwendige Hochsteckfrisur, eine spuckfleckfreie Schürze und einen äußerst missbilligenden Blick. Ja, die Wippe meines Rabaukenkinds kann bei Bedarf auch elektronisch beschaukelt werden. Ab und an hat frau nun einmal auch das Bedürfnis zu duschen. Oder einfach mal den Rücken einzurenken.
Doch seit diesem Vorfall stehen mein kleiner Rabauke und ich unter ständiger Beobachtung. Wenn ich meinen Wocheneinkauf schnaufend durchs Treppenhaus manövriere, beäugt ein wachsames Augenpaar meine Errungenschaften durchs Schlüsselloch. Denn neben einem Vorrat an Kartoffeln und Möhren errege ich mit dem verräterischen Klappern von Breigläschen das bessermuttsche Ärgernis. Die Besser-Mutti von nebenan kauft nämlich keine Fertigbreie. Und sie friert auch keine Breiportionen ein, sie bereitet jeden Tag einen frischen zu. Mit regionalem Gemüse vom Feinkostladen um der Ecke. Darüber hinaus strickt sie ihrer Kleinen derzeit ein Wintermäntelchen und dazu passende Kissenbezüge. Dreimal am Tag kutschiert die Besser-Mutti von nebenan ihre Kleine im blankgeputzten Kinderwagen um den Ententeich herum. Und abends spielt sie ihr etwas auf der Flöte vor. Einmal in der Woche leitet die Besser-Mutti von nebenan zudem den konspirativen Mütter-Kreis. Hier tauscht man sich über sternereife Breirezepte, angesagte Baby-Yoga-Übungen oder anspruchsvolle Mobile-Anleitungen aus. An diesen Tagen juckt es mir besonders in den Fingern, ein wenig Windelinhalt mittels Spritzpistole auf dem viel zu steril gehaltenen Nachbarbalkon zu verteilen. So als Farbtupfer.
Liebe Besser-Mutti von nebenan. Woher nimmst du nur die Zeit für eine solche Pedanterie? Du wirkst manchmal total verspannt, wie du da eisern lächelnd deine Ententeichrunden ziehst, zweimal am Tag frische Wäsche aufhängst und mehrmals täglich deine Küchenmaschine reinigst. Setz dich doch lieber mal mit deiner Kleinen raus in die Abendsonne und genieße fünf Minuten Ruhe! Ich leihe dir hierfür auch unsere Babywippe.
© Lena Keßler 2023-08-10