Es war ein verhangener November-Nachmittag. Ich hatte überraschend einen alten Freund getroffen und war mit ihm in einem Cafe gewesen.
Aus der schnellen Tasse Kaffee waren zwei Gläser Rotwein und drei Stunden geworden. Es war ruhig, warm und behaglich im Lokal und es wurden keine Belanglosigkeiten ausgetauscht, sondern ein intensives Gespräch entwickelte sich und ließ eine große Nähe aufkommen.
Diese Begegnung und dieses mystische Licht durch die inzwischen weißlichen Dunstschleier und die letzten fahlen Blätter hatte mich in eine besondere Stimmung versetzt. Es war als würden die Dinge ihrer gewohnten Sichtweise entzogen.
Ich liebe solche Stimmungen, wenn die Welt in bläuliche Watte gehüllt scheint – die blaue Stunde. Wissenschaftlich die Zeit, in der nur mehr blaue Farbnuancen wahrgenommen werden. Für mich die Stunde, in der das Tageslicht sich zurückzieht, die Elektrolichter aber noch nicht in den Augen schmerzen.
Die Leichtigkeit des Seins hatte sich meiner bemächtigt und ich musste mich zurückhalten, um nicht alle Menschen anzulächeln und wie ein Kind hüpfend zum Bus zu gehen. Eigentlich hatte ich keine Lust heimzufahren, aber nun war ich auf dem Weg und das war schon in Ordnung.
Träumerisch saß ich im Bus und blickte in die Weite. Das Rütteln und Brummen schaukelte mich in einen dösenden Zwischenzustand.
Eine alte, etwas gebrechlich wirkende Frau stieg ein und setzte sich neben mich, obwohl noch mehrere Plätze, auch Fenstersitze, frei waren. Ich sah den abgetragenen, aber guten Mantel, die abgewetzte Handtasche aus Plastikleder der siebziger Jahre.
Ihre Erscheinung wirkte einsam, ebenso entrückt wie der entschwindende Tag.
Wie mochte ihr Leben gewesen sein? War sie glücklich? Wartete zu Hause jemand auf sie? Hat sie vielleicht ihren Mann im Altersheim besucht oder war sie einfach in die Stadt gefahren, Kaffe zu trinken, und sich die Zeit zu vertreiben? Vielleicht ein gewohntes Ritual mit Freundinnen und jetzt ist nur mehr sie übrig.
Als die Frau ihre Handschuhe abstreifte und alte, vornehme Hände sichtbar wurden, überkam mich der starke Impuls, diese Hand zu streicheln. Ich zögerte und legte dann wie zufällig meine Hand ganz leicht auf die Hand der Frau.
Im ersten Moment überzog ein Erstaunen, fast ein Lächeln das Gesicht der Frau, dann zog sie erschrocken die Hand zurück, packte ihre Tasche und wechselte den Platz.
© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-03-24