Die böse Schwiegermutter

Andrea Eva Ritzberger

von Andrea Eva Ritzberger

Story

Seitdem Sabine ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wollte sie ihn haben. Leo war der Freund ihres älteren Bruders. Je mehr er sie ignorierte, umso unwiderstehlicher wurde er für sie. Wenn er mit seiner schicken, roten Vespa vorfuhr, das dunkle Haar elegant nach hinten gekämmt, bekam sie weiche Knie.

Für ihn hingegen war Sabine nur die kleine Schwester seines besten Freundes. Jahrelang buhlte sie, anfangs subtil, um seine Gunst. Da das nichts half, wartete sie einen Moment der Zweisamkeit ab, in dem sie sich ihm einfach an den Hals warf. Und so sah auch Leo irgendwann ein, dass Sabine die perfekte Frau für ihn war. Ihrer Hochzeit stand nichts mehr im Wege.

Sabine gab ihr Studium auf, um ganz für Leo und seine Firma da zu sein. Sie bekamen drei entzückende Kinder. Ihr Glück wäre perfekt gewesen, wäre da nicht… seine Mutter Elfriede gewesen.

Als Sabine ihre zukünftige Schwiegermutter kennengelernt hatte, fühlte sie sich wie ein Zirkuspferd, das vorgeführt wurde. Sie waren zum Tee eingeladen. Im eleganten Salon saß eine gepflegte Dame, das Haar streng zum Dutt gebunden. Sie hielt eine Teetasse in der Hand, streckte dabei den kleinen Finger weg und musterte Sabine ungeniert von oben bis unten.

An Sabines erstem Tag in der Firma befahl ihr Elfriede, die Regale einzuräumen. Immer wieder tauchte sie wie ein Phantom hinter ihr auf, um mit verächtlichem Blick ihre Arbeit zu kontrollieren. Was sie auch machte, es war nie gut genug.

Wenn die Schwiegermutter zum Essen eingeladen war, strich sie verächtlich mit dem Zeigefinger über die Möbel. So ließ sie Sabine wissen, dass sie auch als Hausfrau versagte.

„Reg dich nicht auf“, beruhigte sie Leo, „so ist sie eben.“

Eines Tages kam Sabine nach einem harten Arbeitstag nach Hause. Sie schenkte sich gerade ein Glas Wein ein, als sie ihre Jüngste vorsichtig näherte:

„Was ist eine Aloholikerin, Mama?“

Du meinst wohl „A-l-k-o-holikerin, Liebes. Wo hast du denn das schwierige Wort her?“

„Oma hat gesagt, Du bist eine …“

„… Alkoholikerin…“, ergänzte Sabine fassungslos.

Wie kam Elfriede bloß auf die Idee, sie so zu verleumden? Noch dazu vor ihrem eigenen Kind?

Die Zeit verging, die Jahre gingen ins Land. Elfriede wurde krank. Und so kam es, dass sie das Zepter, das sie jahrelang mit eiserner Hand geschwungen hatte, niederlegte. Leo besuchte sie jeden Tag, um ihr Essen zu bringen. Eine junge Frau aus Rumänien machte ihr den Haushalt.

Die Krankheit hatte sie milde gestimmt. Irgendwann rief sie Sabine an und bot ihr die Dienste der Reinigungsdame auf ihre eigenen Kosten an. Endlich! Ein Friedensangebot! Letztendlich würdigte sie also doch noch Sabines harte Arbeit, dachte diese. Ihre Augen wurden feucht vor Rührung.

Und schließlich fügte Elfriede hinzu: „Weißt Du, Sabine, mein Leo mag es gerne sauber.“

foto: Enrique Lopez Garre/pixabay

© Andrea Eva Ritzberger 2020-10-17

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