Die Briefe meines Vaters

MissReveuse

von MissReveuse

Story

waren von Anfang an allesamt voller Zuneigung und Liebe.

Blumenkarten, meist mit bunten Rosenmotiven, beinahe romantische Formulierungen. Die Briefe auf schlichtem weißem Papier, mindestens 2seitig manchmal auch mehr. Immer handgeschrieben. Gefüllt mit schön klingenden Worten, voller Liebe, voller Lob für mich.

Aber auch voller Erwartungen, voll Schmerz und Leid. Dem seinen. Und dazwischen immer wieder Neugier, Skepsis und mindestens ein negativer Randkommentar in Richtung meiner Mutter.

Was diese Briefe in mir auslösten war oft schwer greifbar für mich, schwierig auf den Punkt zu bringen, denn es war zum Teil sehr unterschiedlich, verwirrend, ambivalent.

Meist kam erstmal dieser stolze und freudige Gefühlszustand wenn ich den Brief noch in Händen hielt.

Ich mochte die Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit seiner Briefe, er schrieb mir nach einer meiner Antworten stets zeitnah wieder zurück. Die Adresse war immer mit der gleich-regelmäßigen Handschrift notiert. Es schien fast so als wäre sogar mit dem immer gleichen Stift geschrieben wurden. Beim Absender klebte ein kleiner Sticker mit seinem Namen und der Adresse, auch hier jahrelang dasselbe Vorgehen.

Ich konnte am noch ungeöffneten Briefumschlag schon erfühlen wie viel er mir zu sagen hatte. Bei Geburtstagen und Feiertagen wusste ich bald schon, dass eine kleine Karte dem langen Brief weichen würde.

Es lag etwas sehr verlässliches und tröstliches in seinen Briefen. Auch im Inhalt natürlich. Aber wie erwähnt begann die Vorfreude für mich mehr noch beim eintreffen des Briefs, ja noch vor dem öffnen. Nie hätte ich einen seiner Briefe in der Post übersehen können. Nun da ich daran denke fehlen sie mir. Es ist schon Jahre her dass ich den letzten Brief erhielt, aber das Gefühl ist mir noch so vertraut als hätte ich erst vor kurzem noch einen aus dem Briefkasten geholt. Zu wissen, dass ich nie mehr einen erhalten werde ist nach wie vor schmerzlich.

Nach dem Öffnen und Lesen war ich zwar oft immer noch freudig. Zum Teil gerührt, aber meist auch auf eine eigene Art ernüchtert. Meine Erwartungen passten nie ganz zu dem tatsächlichen Inhalt. Realität und Wunsch, Freude und Enttäuschung, Liebe und Distanz, die Gegensätze lagen hier sehr nah beieinander.

Ambivalenz, so denke ich, ist ein treffender Begriff um meine Beziehung, oder mein inneres Bild, zu und von meinem Vater zu beschreiben. Er ist der verborgenste Charakter meiner Lebensgeschichte, zu ihm habe ich den geringsten und undurchschaubarsten Zugang.

Ich weiß nicht was für ein Mensch er genau war. Ich weiß nicht was er gerne tat, was er oft tat. Ich weiß nicht was für ein Vater er für seine anderen Kinder war. Warum seine Beziehungen schwierig schienen.

Lange hoffte ich wir könnten die Lücke, diesen Abstand schließen. Uns richtig kennenlernen. Im Optimalfall wäre er wirklich wie ein Vater für mich geworden. Nur dann hätte das reale Bild sich über die Fantasie gelegt, wäre zu einem echten, vollkommeneren geworden.

© MissReveuse 2020-09-07

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