von Gabriele Koubek
FrĂŒh am Morgen erreicht unser Zug den Bahnhof Santa Lucia in Venedig.
Er ist der einzige Bahnhof in der Altstadt Venedig. Seinen klingenden Namen hat er von der Kirche Santa Lucia, die abgerissen wurde, um auf diesem Platz den Bahnhof zu bauen. Dieser ziert jetzt, wenn auch wenig malerisch, den Canal Grande. 14 Gleise mĂŒnden in die groĂe Bahnhofshalle und von dort kommt man direkt in ein riesiges Einkaufszentrum.
Ist es wirklich wichtiger einen wirtschaftlich interessanten Shoppingtempel zu betreiben als eine Kirche zu restaurieren, die höchstens historischen Wert hat?
Es gibt vierhundertsechsunddreiĂig BrĂŒcken in Venedig – sagt man. Manche sind schön und berĂŒhmt und manche dienen nur der Ăberquerung der KanĂ€le. Um unser Hotel zu erreichen, mĂŒssen wir die BrĂŒcke mit dem angeberischen Namen Ponte della Costituzione, was BrĂŒcke der Verfassung bedeutet, benĂŒtzen.
In diesem Moment ist mir noch nicht klar, dass wir ein Bauwerk betreten, das höchst umstritten und skandalumwittert ist.
Die Venezianer nennen die BrĂŒcke nicht bei ihrem pompösen Namen, sondern einfach Calatrava BrĂŒcke, nach dem Architekten. Sie ist die vierte BrĂŒcke, die ĂŒber den Canal Grande gebaut wurde und sieht sehr modern fast ein wenig futuristisch aus. Dadurch unterscheidet sie sich von den anderen BrĂŒcken in Venedig.
94 Meter lang und 9,28 Meter hoch verbindet sie den Bahnhof mit dem Busbahnhof auf der Piazzale Roma. Fertiggestellt wurde sie im September 2008.
Schon bald nach der Eröffnung der GlasbrĂŒcke erkannte man, dass sie wegen ihrer Stufen nicht Behindertengerecht war und man durfte auch keinen Rollkoffer oder Kinderwagen darĂŒber ziehen.
Deshalb fĂŒgte man seitlich an der BrĂŒcke eine Metallkabine fĂŒr den Behindertentransport an. Sie wurde allerdings fast nie benĂŒtzt, da eine Ăberfahrt mehr als 10 Minuten dauerte und es in der Kabine im Sommer unertrĂ€glich heiĂ wurde. Nach nur 6 Jahren wurde die Gondel wieder abmontiert. Heute sieht man nur mehr die Schienen, an denen die Kabine befestigt war.
Ein weiteres Problem waren die extrem rutschigen Glasstufen. Die Stadt musste viele Male EntschĂ€digungszahlungen leisten, an Menschen die gestĂŒrzt sind und sich verletzt haben. Bei Schneefall, was hier auch vorkommt, musste die BrĂŒcke gesperrt werden, denn Salz vertrĂ€gt das Glas gar nicht.
Es wurden, allerdings ohne merkbaren Erfolg, Antirutschstreifen aus Vulkangestein angebracht. SchlieĂlich wurden die Glasstufen durch Steinstufen und Stufen aus Trachyt ersetzt. Der Architekt, der sich als KĂŒnstler sieht, wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.
Heute sind viele der Stufen gesprungen und noch immer rutschig. Insgesamt sieht die BrĂŒcke wenig vertrauenerweckend und auch nicht besonders schön aus. Wir benĂŒtzen sie trotzdem da es der schnellste Weg zu unserem Hotel ist.
© Gabriele Koubek 2022-01-15