Die brutale Seite des Tangos

Eva Hradil

von Eva Hradil

Story

Ich glaube, man kann den Tango auch „Katalysator“ nennen. Einen Reaktionsverstärker. Wenn man mit sich selbst nicht im Reinen ist, hadert, Sorge hat, nicht „zu genügen“, dann ist es besser, man bleibt zu Hause. Weil dieses Gefühl wird dann jedenfalls nicht kleiner, wenn genau an diesem Abend die TanzpartnerInnen nicht anbeißen. Und das ist fast verlässlich so. Vielleicht sogar, ohne dass jene das bewußt wahrnehmen. Man sieht/spürt einander nur dann, wenn die Chemie an dem Abend stimmt.

Es ist durchaus hilfreich, wenn man jung und schlank ist, wenn man Tango tanzt und vielleicht auch noch gutaussehend. Natürlich ist gut tanzen können eine Voraussetzung, die quasi als selbstverständlich angesehen wird, aber genau bei den Jungen und Schlanken und gut Aussehenden wird eher ein Auge zugedrückt.

Und selbst wenn man genauso gut tanzen könnte wie andere Damen oder Herren, dann kommen zuerst die zum Einsatz, die einem im normalen Leben auch eher als PartnerIn gefallen würden. Was man selbst erst dann unfair findet, gehört man irgendwann zu den nicht mehr Jungen, nicht so ganz Schlanken… Wobei ich selbst nicht nach dem Aussehen gehe, wie danach, ob mir das Tanzen mit jemandem gut tut oder ob ich das Ende der Tanda herbeisehne. Aus dieser Schnittmenge wähle ich dann aber auch die knusprigsten Möglichkeiten. Vielleicht ähnlich, wie man bei einem Buffet seine Lieblingshäppchen wählt?

Das muss ich dann erst mal mit Kraft und Ruhe und Wurschtigkeit durchdrücken können, wenn ich merke, wie ein Herr auf meinen Blick mit einem beinahe erschrockenen Wegblicken reagiert. Als hätte er einen schimmeligen Buffetbeitrag entdeckt? (um beim vorigen Vergleich zu bleiben) Und gleichzeitig weiß ich, dass ich ähnlich “erschrocken wegblicke”, wenn jemand mit mir tanzen will, mit dem mir die elf bis vierzehn Minuten nicht als sinnvoll genussvoll eingesetzt erscheinen.

Es ist ehrlich beinhart und brutal und somit auch brutal ehrlich.

Ich kenne Menschen, die genau aus diesem Grund auch wieder mit dem Tango aufgehört haben. Es lässt sich jedoch auch eine Menge daraus lernen.

Vielleicht, dass man nicht alles persönlich nehmen darf? Oder auch nicht alles persönlich nehmen muss? Vielleicht, dass die innere Balance, die es ja auch beim Tanz braucht, einem auch beim Auffordern und aufgefordert Werden hilft? Bzw. beim Ausbalancieren etwaiger Schlappen darin. Dass man, bevor man das Haus verlässt, sich ehrlich fragt, ob man an diesem Tag „stark“ genug ist, gute PartnerInnen anzuziehen und auch, um dennoch etwaige „Neins“ wegzustecken, als wären sie nicht passiert. Und andernfalls einfach zu Hause bleibt.

Eine der Lösungen, aus diesem Dilemma zu kommen, ist, sich immer weiter in den Tango hineinzubegeben. Zu lernen. Die gleich Guten (aber besser Aussehenden) hinter sich zu lassen.

Dieses Ziel ist hoch gesteckt, ein ständiges an sich Arbeiten notwendig.

© Eva Hradil 2021-10-16

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