von Beate-Luise
Neulich im Auto hörte ich mal wieder einen Song von Udo Lindenberg im Radio. Sofort gute Laune! Udo – ein schillernder Saurier des Rock. Ich sang laut mit.
Dabei fiel mir ein, wie meine Freundin A mir in der Schule mal einen Zettel zuschob: „Heute Abend geh ich mit meinen Eltern ins Konzert zu Udo.“ Bewundernd kritzelte ich zurück „Wow – coole Eltern!“ oder so etwas. Am nächsten Tag fragte ich sie nach dem Konzert. Erst im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich raus, dass sie nicht bei Lindenberg, sondern bei Udo Jürgens gewesen war. Viele Jahre später erzählte A, dass ihr das vor mir peinlich gewesen sei und sie sich bis zur Aufklärung unseres Missverständnisses über meine positive Reaktion gefreut habe. Mit dem Blick von heute hätte ich im Hinblick auf ein Udo-Jürgens-Konzert tatsächlich mit Anerkennung reagiert. Aber eben nicht mit 17…
„Bei Onkel Pö spielt ne Rentnerband, den ganzen Abend Dixieland. Und n Groupie ham die auch, sie heißt Rosa oder so. Und die tanzt aufm Tisch wie’n GoGoGo!“ Das gute alte „Onkel Pö“, eine legendäre Szene-Musikkneipe in Hamburg-Eppendorf. Mit 14 oder 15 war ich einmal dort bei einem Konzert des jungen, noch unbekannten Jazz-Gitarristen Pat Metheny. Er wurde viel später einer breiten Öffentlichkeit durch den gemeinsamen Song mit David Bowie “This is not America” bekannt. Im Pö traten junge Bands aus der Umgebung, aber auch Jazzgrößen wie Chick Corea, Alphonse Mouson, Dizzy Gillespie oder Chet Baker auf. Ihren Durchbruch im Pö feierten – außer Pat Metheny – auch der stimmgewaltige Al Jarreau und die irische Band U2. Letztere vor nur etwa 100 Leuten.
Eine der vielen Anekdoten, die sich um den immer verqualmten Schuppen im Lehmweg ranken, erzählt, dass eines späten Abends im Jahr 1981 Joe Cocker mit einem NDR-Jazz-Redakteur durch die klapprige Holztür spaziert. Im ganzen Viertel fällt gerade der Strom aus, Kerzen auf der Theke. Cocker will trotzdem singen und wird von Michael Naura, dem NDR-Mann, am Klavier begleitet.
Das Lokal war schwarz gestrichen und bestand in meiner Erinnerung vornehmlich aus einem riesigen Tresen. Bier und Kurze flossen reichlich. Im Hinterzimmer stand ein Billard- oder Kickertisch. An vielen Abenden war es mit 200 oder 300 Gästen muckelig voll. Der Wirt nannte diesen Schmelztiegel „Karnickelhöhle“. Dennoch prangte über der Außentür nicht unbescheiden der Name „Onkel Pös Carnegie Hall“. Dauergast Udo Lindenberg soll hier lebenslang Anrecht auf Freibier erhalten haben.
1986 schloss das Lokal die Pforte für immer. Wohl, weil die Zeiten sich geändert hatten und die Bands nun „echte“ Hallen bespielten. Vielleicht auch, weil der Stadtteil Eppendorf ein immer gepflegteres Make-up auflegte. Viele in den 70ern noch besetzte Wohnungen waren inzwischen in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Im Lehmweg 44 findet man heute dort, wo die Nächte einst nicht enden wollten und einige Urgesteine der Musikszene auf oder neben der Bühne lebten, eine Erlebnis-Gastronomie.
© Beate-Luise 2021-05-08