Die Englisch Stunde

Fiana Kummer

von Fiana Kummer

Story

Serbien, März 2020: Nedeljko Bajić Baja – Snovi Od Stakla: www.spoti.fi/3ALV0HR

Es hat wenig Sauerstoff. Obwohl die Türen nicht richtig schließen, kommt keine frische Luft rein. Wir sitzen in einem Zugabteil auf dem Weg von Serbien nach Montenegro. Wir sind zu viert im Abteil, zwei unserer besten Freunde, Felix und ich. Es ist noch früh und draußen ist es heute grau. Der Zug hat sicherlich schon einige Kilometer hinter sich, es klappert überall. Am Eingang steht ein Schild »Rauchen verboten«. Es riecht stark nach Zigarettenrauch. Der Geruch steigt mir in den Kopf und ich frage mich, wie ich es wohl die nächsten acht bis zwölf Stunden hier aushalten soll.

An uns ziehen waldreiche, in Nebel verhüllte Landschaften vorbei, wir sind auf dem Weg in Richtung Berge. Irgendwann kommt eine ältere Frau an unserem Abteil vorbei und lächelt uns an. Einige Minuten später läuft sie wieder vorbei und klopft an unserer Türe. Sie fragt, ob wir Englisch sprechen und ob sie sich ein paar Minuten zu uns setzen dürfe. Ich habe wenig Kraft mich zu unterhalten, da ich mich von dem schwer in der Luft hängenden Zigarettenrauch geschwächt fühle. Wir bitten sie, sich zu setzen. Sie sei Englischlehrerin gewesen und freue sich immer so, wenn sie die seltene Gelegenheit bekomme, Englisch zu sprechen. Sie ist interessiert daran, wo wir herkommen, was wir tun und wieso wir Englisch sprechen. Ich lasse Felix und unsere Freunde die meisten Fragen beantworten. Währenddessen beobachte ich sie. Mit jeder Minute scheint sie mehr aufzublühen. Ich sehe ihr an, wie unglaublich viel Spaß sie daran hat, mit uns zu sprechen.

Sie erzählt uns, wie wichtig sie es findet, dass junge Menschen Sprachen lernen. »Sprachen öffnen die Tore zur Welt«, sagt sie. Da muss ich ihr zustimmen, Sprachen geben uns die Möglichkeit, uns mit Menschen zu verbinden und wir können an einem fremden Ort ein Gefühl der Zugehörigkeit empfinden. Ist es dieses Gefühl, weswegen wir reisen?

Sie erzählt, sie selbst sei in Großbritannien gewesen und durch ihre Sprachkenntnisse habe sie genau diese Zugehörigkeit gespürt. Für sie sei es aber mehr als nur sich verständigen können, Sprachen führen auch zu einem besseren Verständnis füreinander.

Sie wird traurig. »Nicht alle sehen das so«, sagt sie. Leider gebe es bei ihnen viel Probleme, weil einige sehr klein denken und es nicht schaffen, über den Tellerrand zu schauen. Es gebe viel Streit über Themen, die zwar ihre Berechtigung haben, aber die großen Probleme der Welt ignorieren. Sie ist der Meinung, man solle die kleinen Fragen lieber schnell klären und dann gemeinsam die großen Dinge angehen.

Nach 20 Minuten wird meine Aufmerksamkeitsspanne geringer, doch ich versuche mich weiter zu konzentrieren. Ich gebe ihr recht, wir sollten die großen Dinge im Kopf behalten und wenn wir eine Entscheidung treffen, immer wieder innehalten und die Relevanz unserer Tätigkeit hinterfragen.

© Fiana Kummer 2022-08-31