Die erste große Liebe

Juliana Ribitsch

von Juliana Ribitsch

Story

„Dich könnt‘ ich den ganzen Tag lang nur ansehen, damit ich nie vergesse wie schön du bist.“

Die erste große Liebe vergisst man nicht. Das hat mir Oma immer erzählt, wenn sie von Opa sprach. Opa habe ich nie kennengelernt. Er starb bereits vor meiner Geburt, aber Oma redete immer so von ihm, als wäre er nie gegangen. Eines Tages da fragte ich Oma, ob sie nicht Angst hätte Opa einmal zu vergessen. Oma lächelte traurig und sagte: „Nein, mein Schatz. Denn deine erste große Liebe wirst du nie vergessen.“ Oma wurde dement. Und mit den Jahren ihrer fortschreitenden Krankheit hatte sie Opa nie vergessen. Als der Alzheimer bereits so weit war, dass Oma kaum mehr sprechen konnte, fragte sie immer regelmäßiger nach Opa. Das musste wahre Liebe sein, dachte ich als Kind und dann später als Teenager auch. Bis ich selbst meiner ersten Liebe begegnet bin.

Was Oma mir nämlich damals nicht erzählt hatte, war, dass die erste Liebe nicht gleichzeitig auch die letzte Liebe sein muss. Mein bester Freund aus Jugendzeiten gestand mir seine Liebe, als er bereits über ein Jahr in einer festen Beziehung war. Wir waren 17, auf einer Home-Party und ziemlich betrunken. Von der Party selbst weiß ich nicht mehr viel, aber ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, als mir das Herz gebrochen wurde. Heimlich und unter dem Versprechen, dass wir danach nie wieder ein Wort darüber verlieren würden, küssten wir uns. Danach ging jeder seine Wege. Ich ging studieren und er blieb in unserer Heimatstadt. Aber ich konnte, nein ich wollte, ihn nie vergessen.

Mittlerweile sind wir beide in festen Langzeit-Beziehungen. Das Schicksal sah in uns keine Zukunft und unsere Wege kreuzten sich nur selten und reichten für Small-Talk kaum aus. Eines Abends entschied ich mich dazu mit einer Freundin auf ein Fest in meiner Heimatstadt zu gehen und wie es der Zufall so wollte, traf ich ihn dort wieder. Mein Herz konnte nicht anders und es machte einen kleinen Sprung als er mich sah…und anlächelte. An diesem Abend redeten wir lang, über Altes und Neues, über Vergessenes und ewige Erinnerungen, über die Zukunft und die Vergangenheit. Er hielt kurz im Satz inne, er sah zu mir auf und sein Blick ruhte auf mir. „Was ist los?“, fragte ich verlegen. Er antwortete: „Ach nichts. Weißt du, dich könnt‘ ich den ganzen Tag lang nur ansehen, damit ich nie vergesse wie schön du bist.“

Oma du hattest wohl recht, denn meine erste Liebe werde ich wohl nie vergessen.


© Juliana Ribitsch 2025-04-04

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Challenging