von AndreaSelene
Baldur Preiml. Der ehemalige Trainer der Skisprung Nationalmannschaft ist nicht nur Mentaltrainer und spiritueller Lehrer – er ist ĂĽber die Jahre ein Freund geworden.
Einmal im Jahr haben er, andere Trainer und ich ĂĽber eine Woche lang Menschen in einem Intensivseminar begleitet. „Die Reise zum Selbst“ war das Motto. Dabei ging es, vereinfacht erklärt, um Entschleunigung und Achtsamkeit. Die Teilnehmer sollten jenen Platz in sich finden, der jenseits der Gedanken und Glaubenssätze liegt. Der Platz, der im Herzen beginnt und zum SELBST fĂĽhrt. Diese Reise kann entweder ein Leben lang dauern, oder auch in einer Sekunde vollendet sein. Alles ist möglich.
Um an das Ziel zu gelangen, das eigentlich keines ist, weil man immer schon dort war – das ist ja das Paradoxe daran und mit dem Verstand nicht zu verstehen – gibt es unzählige Methoden und Ăśbungen.
An jenem Tag stand ein Spaziergang im Freien auf dem Plan. Wir versammelten uns vor dem Seminarhaus und gingen gemeinsam schweigend los. Schweigend! Für Viele eine große Herausforderung. Nicht zu sprechen. Das ist für Einige bereits eine schier unüberwindbare Hürde. Aber wie heißt es so schön: In der Gruppe gelingt es leichter. Und so spürte man, dass nach einem Kilometer der innere Lärm allmählich ruhiger wurde und die Menschen begannen ihre Umwelt sinnlich bewusster wahrzunehmen.
Das Gehtempo wurde automatisch langsamer. Die nächste Übung bestand darin, dass wir in einer Reihe hintereinander gingen. Baldur vorne weg und ich als Schlusslicht. Ein Schritt bewusst nach dem anderen. Gehmeditation. Keine leichte Übung für Manager, die Tempo, Leistung und Gedankenlärm gewohnt sind!
Nach einiger Zeit bog Baldur vom Weg ab und betrat eine Wiese, auf der eine groĂźe Kuhherde (noch) friedlich graste. Wir im Gänsemarsch – schweigend- langsam schreitend ĂĽber die Kuhweide. Baldur vorne – ich hinten. Die KĂĽhe blickten uns verwundert an. Wie einem unsichtbaren Impuls folgend, beendeten sie Ihre Tätigkeit und gingen auf uns zu. Mein Herz klopfte, aber Baldur ging seelenruhig in einem Zick-Zackkurs und in einem Schneckentempo weiter und wir folgten ihm.
Was nun folgte, war unglaublich: Die gesamte Kuhherde schloss sich uns an. Nun gingen wir den Berg hinauf. In Schlangenlinien. Oben angekommen ging Baldur mit einem verschmitzten Lächeln in den Wald, um auf einem Hohlweg wieder zurĂĽckzugehen. Zwanzig Menschen und etwa gleichviel KĂĽhe. Im Gänsemarsch – langsam und schweigend. Still. Bis auf mein Herzklopfen. Das war laut. War ich fĂĽr sie der letzte Mensch in der Reihe, oder die erste Kuh? Da war ich mir nicht so sicher. Auf einer Waldlichtung angekommen, blieben wir schweigend stehen. Nach einiger Zeit wurde es den KĂĽhen langweilig und eine nach der anderen ging wieder auf die Weide zurĂĽck.
Mein Herz beruhigte sich wieder. Tief berĂĽhrt setzten wir unseren Heimweg fort. Irgendwie war es noch etwas stiller in uns. Dieses Erlebnis hat uns alle ein wenig demĂĽtiger gemacht.
© AndreaSelene 2020-03-08