Die Erste von vielen

KlaraFrühling

von KlaraFrühling

Story

Heute war es soweit: Strahlend kommst du aus der Schule, läufst mir entgegen und rufst ‘lauter Einser, Mama’. Du stellst deine Tasche ab und holst zufrieden mit dir selbst deine Schulnachricht heraus. Mein Herz pumpert und gerührt nehme ich dich in meine Arme und drück dich ganz stark. Es macht mich glücklich, zu sehen, wie du dich freust – und du hast auch allen Grund dazu. Fleißig warst du und viel gelernt hast du in den letzten Monaten. Ich weiß, wie schwer es dir fällt, stundenlang stillzusitzen. Hausaufgaben machen, war und ist für dich die reinste Qual. Bist du doch eigentlich ein sportliches Kind, das am liebsten herum hüpft und durch die Gegend springt. Lang bist du gesessen, weil du dich nicht mehr konzentrieren konntest und sich die lästige Hausübung nicht von selbst erledigen wollte. Wütend und zornig warst du, auf die Schule, auf deine Lehrerin und besonders auf mich. Als du seitenweise 1er, 2er, 3er, 4er, 5er, 6er, 7er, 8er, 9er und 0er schreiben durftest, jede Ziffer genau 240 Mal, hast du die Welt nicht mehr verstanden. Ich auch nicht. Damit du beim Ziffernmalen nicht ausflippst, habe ich dir vorgelesen. Immer wieder. Laut gelacht hast du bei “Des Kaisers neue Kleider” und betroffen warst du bei “Das hässliche Entlein”. Plötzlich hast du deine Zahlen gerne geschrieben, denn die Märchen haben dir gefallen und die exklusive Mama-Zeit hast du genossen.

Obwohl ich weiß, dass du meist gerne in der Schule bist, ist mir bewusst, dass dir der Kindergarten fehlt. Neulich hast du mich sogar gefragt, ob du denn nicht dorthin zurückgehen kannst. ‘So quasi einen Tausch machen’, hast du gemeint. Du würdest Petra sogar überall helfen, hast du mir versichert. Voller Sehnsucht schaust du oft in deine ‘alte’ Gruppe, wenn wir deinen kleinen Bruder abholen und winkst den Kindern zu. ‘Ich möchte wieder klein sein’, hast du vor Kurzem gesagt, ‘dann ist alles leichter’. Wie weise du doch bist. Du hast erkannt, dass Schule den Verlust deiner Freiheit, wie du sie kennst, bedeutet. Vieles ist nun anders. Es macht mich traurig, deine Wehmut zu spüren. Was du aber noch nicht weißt, ist, dass dir das Wissen, das du in der Schule erlangen wirst, eine andere Art von Freiheit geben wird. Wenn du weißt, es zu nutzen.

Ich hoffe für dich, dass du bald auch die wirklich schönen Seiten deiner Schulzeit erleben darfst. Dann, wenn ihr miteinander singen und tanzen könnt, ohne dass euch eingeredet wird, dass es gefährlich ist, dies zu tun. Wenn Ballspiele wieder zur Normalität werden, und ihr auch Ausflüge machen dürft. Dann, wenn du endlich die Gesichter deiner Mitschüler sehen kannst und nicht nur deren Augen, weil der Rest von einer Maske verdeckt ist. Dann, wenn du ohne Test in deine Klasse gehen kannst und es egal ist, wenn jemand hustet oder schnupft.

Mein lieber, lieber Schatz – ich bin begeistert von dir. Du bist ein kluger, lieber Kopf, hältst durch und stellst dich deinen Herausforderungen. Täglich entwickelst du dich und ich bin auf deiner Reise immer bei dir.

© KlaraFrühling 2022-02-06

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