Die Existenz von allem (Kommunikation 3)

Anie To

von Anie To

Story

»Was soll ich denn sagen?« Sie schob ihre Brille zurecht und sich die Kapuze ihres viel zu großen

Hoodies vom Kopf. Ihre Haare waren zerzaust, nicht auf eine schöne Art, sondern auf eine

unordentliche. Ein bisschen war es, als wollte sie ihn provozieren.

Ihre Bewegungen waren langsam und entspannt, beinahe so, als würden sie hier nicht über die

Existenz von allem reden und alles in Frage stellen. Das sagt er dann auch.

»Die Existenz von allem?«, lachte sie und dann schüttelte sie den Kopf, wieder ganz langsam, ganz

entspannt. »Du bist ja verrückt.«

»Ich?« Diesmal klang er sauer. Nur sauer. »Ich bin nicht verrückt. Wenn hier einer verrückt ist,

dann musst du es sein. Du redest doch die ganze Zeit davon, dass du mich nicht kennst, obwohl wir uns

seit Jahren ein Bett teilen und davon, dass Zeit eigentlich keine Bedeutung hat, und davon, dass ich dich

nie kennen werde, wenn du es nicht zulässt. Das ist verrückt! Du bist verrückt, Annabelle! Du willst nur

etwas Besonderes sein, du willst, dass die Leute sich über dich Gedanken machen, dass sie sich fragen,

wie du so philosophisch und geheimnisvoll und mysteriös geworden bist. Aber weißt du was? Ich frage

dich das nicht. Ich werde dich das niemals fragen! Nicht, weil es mich nicht interessiert. Sondern weil

ich Dir nicht glaube, dass du wirklich so bist. Du sagst vielleicht, dass ich dich nicht kenne. Vielleicht

liegt es daran, dass du mir nie die Chance dazu gegeben hast. Dass du mir nie gezeigt hast, wer du

wirklich bist.«

Wieder sah sie ihn lange an, dann nickte sie langsam. »Ja, da könntest du recht haben. Vielleicht

liegt es tatsächlich an mir. Aber wer sagt dir, dass ich nicht tatsächlich genauso bin und du das nur nicht

wahrhaben willst? Und wer sagt, dass du es überhaupt verdient hast herauszufinden, wie und wer und

was ich wirklich bin? Solange du ständig andere Leute in unsere Beziehung mit hineinziehst, solange

werde ich dir nicht sagen, ob du recht hast mit deinen Vermutungen. Solange behalte ich mir meine

Philosophie und meine Geheimniskrämerei. Dann kann ich nämlich irgendwann einfach gehen, und

wenn ich gehe, und du tatsächlich auf die verrückte Idee kommen würdest, nach mir zu suchen, dann

wüsstest du nicht, wie du mich den Leuten beschreiben solltest. Du könntest ihnen sagen, wie ich

aussehe, aber mein Aussehen kann ich ändern. Vielleicht würdest du sagen, dass niemand mich wirklich

kennt und dass ich komische Dinge sage und denke und komische Fragen stelle, aber damit findet man

keinen Menschen wieder. Das kannst du nicht auf ein Plakat drucken. Vielleicht lasse ich nicht zu, dass

du mich wirklich kennst, weil ich mir die Sicherheit vorbehalten will, einfach gehen zu können.«

© Anie To 2021-04-28

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