Die Familie und die Zeit danach

Michaela Schmitz

von Michaela Schmitz

Story
Neulengbach 2024

Zu Sebastians Tod am 28.09.2024 ist (fast) die gesamte erweiterte Familie und Freunde aus Deutschland und Österreich zusammen gekommen. So gut wie alle ‚Unstimmigkeiten‘ innerhalb unseres Patchwork-Familien-Netzwerks der letzten Jahre waren weggefegt. Im Angesicht des Todes zeigt sich die Wahrheit. Sebastian hatte mit seinem Tod ganze Arbeit geleistet. Emil, Sebastians älterer Bruder, stellte natürlich die Frage: Nur weil Sebi verstorben ist, vertragen sich jetzt alle? Warum nicht schon davor? … Gute und berechtigte Frage. Vereinfachte Antwort meinerseits: weil die Zeit noch nicht reif dafür war. Weil im Angesicht des Todes vieles ganz anders betrachtet wird. Weil der Tod (und die Geburt) die elementarsten Ereignisse in unserem Menschenleben sind. Weil wir gezwungen werden, hinzuschauen. Es gibt immer nur diesen einen Moment – und der ist JETZT. Dem weichen wir geflissentlich aus. Obwohl in unserem Leben so ziemlich alles ungeplant verläuft und das einzig sichere nach unserer Geburt der Tod ist, verdrängen wir ihn wo immer uns die Gelegenheit dazu bietet. Jetzt ging es darum, gemeinsam eine passende Verabschiedung für Sebastian zu gestalten. Wir entschieden uns für eine Feuerbestattung im Krematorium in Innermanzing. Wir wählten einen einfachen Sarg, zur Zeremonie selbst wurde ein Leinenband, dass um den Sarg gebunden war, mit Blumen gestaltet und wir durften den Sarg mit Stiften bemalen und beschriften. Und es gab Musik, wirklich gute Musik! Queen, Tote Hosen, Billy Joel. Sebastians Vater Rupert trug Sebastians Lieblingsbuch ‚der große Gungatz und das kleine Entchen‘ vor. Wir weinten gemeinsam und lachten als Jörg Bauer, der Bestatter, uns einen Spruch, der auf Sebastians Sarg stand, vorlas: Ach wie gut, dass niemand weiß, auf wen und was ich alles scheiß. Ein ECHTER Sebi-Spruch! Die Urne mit einem Teil der Asche blieb bei uns zu Hause in Neulengbach – wir wollten keine ‚Pilgerstätte‘ einrichten. Und so versuchten wir Tag für Tag das Unfassbare fassbar zu machen, in Erinnerungen zu verweilen, zu trauern und zu weinen, füreinander da zu sein und vor allem – weiterzuleben. Sebastian hatte seine Erkrankung seit seinem sechsten Lebensjahr, wir sind damit und daran mit ihm gewachsen. So wie Monika es schon geschrieben hat – es war Sebis unaufdringliche Art, uns immer wieder daran zu erinnern, dass das Leben endlich ist, dass niemand weiß, wann seine/ihre Stunde ’schlägt‘ und dass wir alle auf den Tod zusteuern – unweigerlich. Er hat uns erinnert, jeden Moment so gut wie möglich zu genießen – das Leben ist kostbar. Und jetzt mal ganz ehrlich – wie viele Menschen stehen in der Früh auf und erfreuen sich zuerst einmal des Lebens? Sind glücklich, dass sie gesund sind? Ein zu Hause haben, Familie haben? Es ist (auch) ein Geschenk, wenn man in der (erweiterten) Familie Menschen hat, die einem daran erinnern, was wirklich zählt im Leben. Sebi war und ist so ein Mensch. Dafür bin ich, sind wir, ihm unendlich dankbar.

Hör nie auf, anzufangen und fang nie an, aufzuhören

Der Wind hebt an! Wir müssen versuchen zu leben! Le vent se lève! Il faut tenter de vivre! Paul Valéry


© Michaela Schmitz 2025-01-03

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Lebenshilfe
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll
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