DIE FENSTERGUCKER

Mein Sohn kam während der Mittagspause auf Kurzbesuch und brachte mir Sonnenblumen. Während ich Wasser in die Vase fühlte, stand er bei offenem Fenster und sah auf die Straße hinunter. Lärm von der Straße drang bis in die Wohnung. Ich wurde ebenfalls neugierig. Ein weißer Kastenwagen mit der Endziffer 78 auf der Hintertür stand auf unseren Privatparkplatz. 78 bedeutet Magistrat für Parkraumüberwachung. Doch dann überlegte sich der Fahrer, das Fahrzeug auf den Straßenrand abzustellen. Ein Mann mit einer Figur eines aufrecht gehenden Grizzlybären zwängte sich aus dem Auto. Seine Beifahrerin, ein Drittel kleiner als er, mit schmächtiger Figur, hüpfte schwungvoll auf den Gehsteig. Beide trugen dunkelblaue Uniformen. Ein ungefähr 30-jähriger Mann mit Oberlippenbart eilte auf die beiden Straßenaufsichtsorgane zu. Aufgeregt schwenkte er einen Zettel in der Hand. Radebrechend machte er sich darüber Luft. Er fühlte sich unschuldig, deutete immer wieder auf den Strafzettel und akzeptierte ihn nicht. Es entstand zwischen den beiden Straßenaufsichtsorganen und dem Autofahrer ein lautstarker Dialog, der seitens des Missverstandenen immer emotionaler und hitziger wurde, dabei fächelte er immer wieder mit seinem Strafzettel und verlangte lautstark nach der Polizei. Beruhigendes Zureden nützte nichts, der Mann wurde übergriffig auf die weibliche Uniformierte. Was er nicht in Worte fassen konnte, versuchte er mit seinen Händen der Aufseherin begreiflich zu machen. Ihr Kollege sprang dazwischen und rief die Polizei um Hilfe.

Drei Polizeiautos bremsten sich binnen fünf Minuten ein. Drei Männer und drei Frauen sprangen aus den Dienstfahrzeugen. Einer führte das Gespräch mit dem Aufgebrachten. Hinter ihm stand eine junge Polizistin. Die anderen vier standen in Abstand zu dem Überreizten. Endlich akzeptierte der Mann den Strafzettel.

Mein Sohn machte sich lustig über mich und meinte süffisant: „Jetzt verstehe ich, warum du keinen Fernseher hast. Vor deinem Fenster genießt du Life-Erlebnisse. Der Diskurs auf der Straße hat genau die Länge eines Spielfilms.“

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