Die Flaschenpost 1

Gabriele_Krele-Art

von Gabriele_Krele-Art

Story

Eigentlich war ihr gar nicht danach, das Wochenende in der St. Martins Therme zu verbringen. Zu viele Aufgaben ließ sie unverrichteter Dinge zu Hause zurück. Die Hausarbeit war nicht wirklich so wichtig. Sie konnte warten. Die Einladung der Freunde war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Sie hätte das Wochenende auch nützen können, um Geschichten zu einem der Themen zu schreiben, die in der Literaturgruppe besprochen wurden, wie zum Beispiel „Die Flaschenpost“. Ehrlicherweise musste sie sich eingestehen, dass sie zurzeit ohnedies an einer Schreibblockade litt.

Als sich die Drehtür öffnete und sie in das Foyer des Thermenhotels schubste, wischte sie alle Bedenken beiseite und nahm sich fest vor, ihr Geburtstagsgeschenk in vollen Zügen zu genießen.

Sie hielt für einen kurzen Moment inne und sog die Atmosphäre des Eingangsbereiches in sich auf: Gediegene Holzeinrichtung, in der sich die pannonische Landschaft fortzusetzen schien. Überdimensional große Bilder von Wasservögeln und Schilflandschaften gaben Einblick in das Naturparadies Seewinkel am Rande des Neusiedler Sees. Die Architektur erinnert an ein Schneckenhaus, ein idealer Rückzugsort, wenn auch nur für kurze Zeit.

Sie zog ihren Trolley Richtung Rezeption und checkte ein. Kurze Zeit später glitt ihr Körper in das warme Nass des Thermalbades. Fast schwerelos schwebte sie dahin und schlug mit jedem Tempo Gedanken an Unerledigtes in die Flucht. Wieder zurück auf der Liege schlichen sich die ersten Schreibideen ein. Es schien als näherte sich die Muse und flüsterte ihr etwas ins Ohr: Wellen im Atlantischen Ozean spülen eine Flasche an den Strand…

„Das ist zu banal“, meldete sich ihre innere Zensur. „So beginnt doch jede Geschichte von einer Flaschenpost“, kritisierte sie ihren Einfall, den sie als Reinfall entlarvte. Flaschenpost, so sinnierte sie weiter, war doch eine in einer Flasche transportierte Botschaft an einen Zufallsfinder. Das Transportmedium war das Wasser, das Meer, der See oder ein Fluss. In früheren Zeiten waren es Schiffbrüchige, die auf diese Art und Weise ihre Rettung erhofften. Vielleicht sollte sie querdenken und eine ganz neue Geschichte erfinden. Wer weiß, dachte sie und spürte, dass sich eine sanfte Müdigkeit auf ihre Glieder und Lider legte. Entspannt träumte sie von Piraten und Goldschätzen, von gekenterten Schiffen und verzweifelten Überlebenden, vom Überlebenskampf und den Abenteuern der Gestrandeten auf einer fernen Insel.

Das Plätschern des Wassers, das sich über die erholungssuchenden Thermengäste ergoss, begleitete ihr langsames Erwachen aus den Träumen.

Ihre Lebensgeister kehrten endgültig in ihren Körper zurück, als sie sich selber mitten in den Strudel begab.

Ein Blick auf die Uhr mahnte sie, dass es Zeit war, sich für das Abendessen bereitzumachen.

Das Hotelzimmer bot alles, was der Erholungssuchende begehrt. Es hatte ja auch seinen Preis, der aber, wie sie zufrieden feststellte, jeden Euro wert war.

© Gabriele_Krele-Art 2023-03-20

Hashtags