von Hermann Karosser
MĂŒnchen in den 1970er Jahren:
Ich, Student der Rechtswissenschaften, Bewohner eines Studentenheimes in Schwabing, tingle mit meinem Schwager Werner durch die angesagtesten Kneipen zwischen MĂŒnchener Freiheit und Odeonsplatz. Wie so oft bleiben wir in der TĂŒrkenstraĂe hĂ€ngen, im heute legendĂ€ren âALLOTRIAâ. Da wird Jazzmusik geboten vom Feinsten: Von heitersten Dixie-, Swing- und Blues-Standards bis zu ernsten und einfĂŒhlsamen Balladen reicht das Repertoire, aber auch Anleihen aus vielen musikalischen Gebieten wie Volksmusik, Klassik und Folklore werden modern interpretiert.
Die âOccam-Street Footwarmersâ sind hier das âHausorchesterâ. NatĂŒrlich wird nur live gespielt, auf einer winzigen BĂŒhne in TuchfĂŒhlung mit dem Publikum im engen, rauchgeschwĂ€ngerten Lokal. Der Wirt selbst sitzt am Schlagzeug, seit der GrĂŒndung 1953 schon 20 Jahre lang (20 weitere sollten es noch werden). Dazu ein Trompeter, ein Klarinett- und Saxophonist, Posaune, Piano und Kontrabass.
Ich vergesse fast die Welt um mich herum, so vereinnahmt mich diese Musik. Als Gymnasiast im Internat hatte ich mich selbst einmal am Jazz versucht, am Gymnasium als Klarinettist sogar ein Wochenendseminar mit dem berĂŒhmten, inzwischen 90-jĂ€hrigen Jazzsaxophonisten und -pĂ€dagogen Joe Viera belegt. Aber es ist nicht viel dabei herausgekommen, wahrscheinlich, weil ich auch da zum Ăben zu faul war.
Zeitsprung: MĂŒhldorf im MĂ€rz 2023, heute:
Das Kulturzentrum âHaberkastenâ lĂ€dt zum Jazz-FrĂŒhschoppen. TraditionsgemÀà treffen wir uns dazu mit unseren Teisinger Freunden, wie wir, treue Fans von âBayerns Ă€ltester Hot Jazz Bandâ , den âOCCAM STREET FOOTWARMERSâ.
Ja, es gibt sie wirklich immer noch, auch wenn sie inzwischen genauso alt, oder besser gesagt âjungâ sind wie ich, 70 Jahre. Von den GrĂŒndungsmitgliedern ist zwar keines mehr dabei, aber das Durchschnittsalter der sechs Jazz-Musiker auf der BĂŒhne wĂ€re ohne die etwas âjĂŒngerenâ sicher jenseits der 70 Jahre. Das Programm hat sich nicht viel verĂ€ndert in den letzten 25 (!) Jahren, das tut dem Musikgenuss keinen Abbruch, man kann sie immer wieder hören die Klassiker genauso wie die Exoten: âSt. Louis bluesâ, âBasin street bluesâ (âBesenstiel-Bluesâ), âEverybody loves my babyâ, âMackie Messerâ, âHello Dollyâ und viele mehr.
Michi Dachsel (Kenner, wie wir kommentieren seine Vorstellung immer lauthals mit einem âaus Olchingâ, obwohl er dem Vernehmen nach ein echtes MĂŒnchener GewĂ€chs ist), einer von den Ă€lteren, Manager und Kontrabassist, moderiert das Ganze bayerisch humorvoll. Kai Lauber hat die musikalische Leitung. Er spielt und singt nur noch im Sitzen, gut gepolstert auf zwei Kissen und wir machen uns ein wenig Sorgen, ob wir ihn womöglich zum letzten Mal auf dieser BĂŒhne erleben. Aber mit Trompete, FlĂŒgelhorn und vor allem seiner rauchigen Stimme âmacht er immer noch wunderbar den Armstrongâ: âWhat a wonderful world!â.
© Hermann Karosser 2023-03-26