von Laudine
Als die unbekannte Nummer auf meinem Handy aufschien, wusste ich sofort, dass es nur der Disziplinarsenatsvorsitzende sein konnte.
Hier muss ich kurz zurückblenden. 15 Jahre nach dem #MeToo-Erlebnis im Verein hatte endlich der Termin mit dem neuen Obmann stattgefunden – mit jemandem vom Opferschutz dabei, nachdem letztendlich die Ombudsfrau eines anderen Vereins eingehakt und einen Clearingbericht eingereicht hatte.
“Es wĂĽrde”, so meinte der neue Obmann bei diesem Termin in Wien, als Intervention “persönlich adressierte Mahnbriefe an alle Beteiligten geben”. “SCHARFE Mahnbrieflein”, betonte die Dame vom Opferschutz, “die klarmachen, dass schwere Fehler passiert sind, und die neben der Fortbildung auch dringend notwendig sind, da es noch mehr #MeToo-Fälle im Verein gibt, nicht nur Sie.“
Ich würde das Besprochene auch noch schriftlich per Mail bekommen, hieß es. Und tatsächlich, einige Wochen später trudelte Post ein. Es würde ein Schreiben an sämtliche Teamleiter/innen geben, nicht nur an die Beteiligten, zu meinem Schutz, und es würde drinnen stehen, dass der Bruch der Schweigepflicht ein Dienstvergehen darstellen würde. Optional bliebe mir noch immer die Möglichkeit, ein Disziplinarverfahren zu beantragen, wenn es das bräuchte.
Der Brief ließ mich perplex zurück. Und wenn das nächste Mal wieder ein Teamleiter in seiner Midlife-Crisis ein Sexhaserl sucht, um es in der vertraulichen Beratung von seinen Problemen zu heilen, dann gibt es wieder einen Rundbrief an alle, auch an jene Teamleiter/innen, die sich an die Regeln halten, oder wie?
Ich fragte bei der Dame vom Opferschutz nach, ob dieser Vorschlag, der doch stark von dem Besprochenen abwich, von der Opferschutzorganisation käme, sie selbst hatte doch noch von betont PERSÖNLICH ADRESSIERTEN, SCHARFEN Mahnbrieflein gesprochen. Okay, sie hatte auch betont, dass sie zwar meinen Fall nicht mehr ganz sooo parat hätte, dass er ihnen zumindest allen aber sehr nahe gegangen wäre … “Es steht alles im Schreiben vom neuen Obmann”, meinte sie.
Ja. Da steht, dass der Bruch der Schweigepflicht ein Dienstvergehen darstellt. Und dann geht als Intervention ein pauschales Rundschreiben an alle raus?
Mir schien das nicht richtig. Nach der Ablehnung eines Gesprächs mit sämtlichen Beteiligten an einem Tisch entschied ich mich nach Rücksprache mit einer Supervisorin nun tatsächlich zur Beantragung von Disziplinarverfahren.
Es war kein leichter Schritt, zumal es nun auch einige Leute traf, die mich unterstützt hätten und das, was passiert ist, als fahrlässig bezeichnet hatten. Aber “formale Ebene” heißt, dass man auch dort, wo Fehler passiert sind, eben nicht aus Mitleid darüber hinwegsieht.
Schweren Herzens schickte ich die Anträge ab, im Wissen, dass vielleicht in Zukunft auch Menschen geschützt wären, die Ähnliches erleben und dieser schrecklichen Opfer-Täter-Umkehr ausgesetzt sein würden.
Ich nahm das Telefon-Gespräch an. Der Vorsitzende.
© Laudine 2020-11-15