„Die Frau aus dem Nichts“

Hela Hanchi_GĂĽler

von Hela Hanchi_GĂĽler

Story
Tunesien/Sousse 2007


An diesem Abend lag ich gemütlich vor dem Fernseher. Ich war nicht müde, nicht einmal ansatzweise. Plötzlich hörte ich, wie Mohamed, unser Mieter aus der oberen Wohnung, nach Hause kam. Ich hatte keine Lust auf sein Gerede – er neigte dazu, einfach hereinzukommen, sobald er Licht sah. Also schaltete ich den Fernseher aus und legte mich schlafen. Ich hörte, wie er die Treppe hinaufstieg und schließlich oben ankam. In diesem Moment wollte ich mich wieder aufrichten und den Fernseher einschalten, doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich war hellwach, konnte sogar meine Augen einen Spalt weit öffnen, doch mein Körper blieb gelähmt. Dann sah ich ihn. Ein Mann, der breitbeinig vor mir stand. Ich konnte ihn nur bis zur Brust erkennen. In der Hand hielt er einen Gürtel oder ein Band, mit dem er rhythmische Schlaggeräusche in der Luft machte, als würde er mich gleich damit schlagen. Panik stieg in mir auf. Mein erster Gedanke: Mohamed! Ich war überzeugt, dass er sich einfach in meine Wohnung geschlichen hatte. In meinem Kopf fluchte ich. War er etwa einfach in mein Zimmer gekommen? Mein ganzer Körper brannte darauf, mich zu bewegen, aufzustehen, ihn anzuschreien – doch ich war gefangen in meinem eigenen Leib. Plötzlich drehte sich der Mann zur Tür und holte eine Frau hinein. Sie trug ein champagnerfarbenes, glitzerndes Kleid Meerjungfrau, mit Diamanten das bis zum Boden reichte. Eine Seite ihrer Haare war hochgesteckt, blonde Strähnen durchzogen ihre dunkle Mähne. Sie konnte sich in dem engen Kleid kaum bewegen und musste es bei jedem Schritt leicht anheben. Ihre Statur kam mir seltsam vertraut vor.

Ich war wütend. Mohamed war dafür bekannt, seine Frau zu betrügen – und jetzt brachte er eine fremde Frau in meine Wohnung? Der hat sie doch nicht mehr alle, ich war so sauer und angeekelt von ihm. Der Mann mit dem Gürtel führte sie in mein Zimmer, und beide verschwanden dort. Wie vom Blitz getroffen kehrte plötzlich die Kontrolle über meinen Körper zurück. Ich sprang auf und stürmte ins Zimmer, bereit, Mohamed und seine Begleiterin hinauszuschmeißen, doch da war niemand. Das Zimmer war leer. Das ganze Haus war still. Ich rannte zu meiner Mutter, die bereits tief schlief. Auch dort war alles normal. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Verwirrt ging ich ins Badezimmer, um mir das Gesicht zu waschen – und erstarrte.

Auf meinen Handflächen waren Henna-Flecken. Wir hatten keine Henna im Haus. Woher kamen diese Spuren? Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in mir aus. Was auch immer hier passiert war es wahr nicht von dieser Welt.



© Hela Hanchi_Güler 2025-06-15

Genres
Biografien
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel, Informativ, Mysteriös, Angespannt
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