Die Frau aus Theth [Albanien]

Astrid Holzinger

von Astrid Holzinger

Story

Ich kenne ihren Namen nicht. Sie versucht mit mir zu reden, aber auf Albanisch verstehe ich leider kein einziges Wort. Trotzdem lächelt sie mich herzlich an und freut sich, dass wir da sind.

Obwohl wir kein Zimmer bei ihr reserviert haben, bietet sie uns für 2 Nächte eine Bleibe in ihrem faszinierenden Dorf mit dem Namen Theth. Es ist ein 80 Seelen Dorf inmitten eines Nationalparks der albanischen Alpen. Von Shkodër nach Theth sind es laut Google Maps 2 Std. 41 Min., in Realität braucht man aber deutlich länger. Für die läppischen 13 km von der Grenze des Nationalparks bis ins Dorf dauert es 1 Std. – mindestens. Dort fängt das Abenteuer erst so richtig an.

Man sollte dafür erstens mindestens einen SUV, besser einen richtigen Geländewagen, und zweitens verdammt starke Nerven besitzen. Ungeachtet der Tatsache, dass ich nur Beifahrerin auf dieser Strecke war, hat mir die Fahrt auf dieser von Schlaglöchern übersäten „Straße“ sicher ein paar Monate meiner Lebenszeit gekostet.

Diese Frau aus Theth muss also jedes Mal, wenn sie etwas haben möchte, dass sie nicht selbst produziert oder beim winzigen Greißler-Bar-Imbiss des Dorfes erhält, auf einer unwirtlichen Fahrweg aus dem Tal herausfahren.

Trotzdem zaubert sie uns jeden Tag vorzügliche Speisen auf den Tisch. Sie ist die Managerin in der Familie. Ihr Mann ist jeden Tag bald aus dem Haus. Die Schwiegermutter, die ebenfalls im Haus wohnt, hilft trotz stolzem Alters tatkräftig beim Haushalt mit. Sie erinnert mich an meine Ur-Oma mit ihrem Kopftuch und der Schürze um die Hüfte. Der Schwiegervater genießt die Rente und wird meist mit Freunden, Pfeife und einem Bier gesichtet.

Der Sohn, ungefähr im selben Alter wie ich, ist sehr auf seine Familie, vor allem seine Mutter, angewiesen. Er sitzt im Rollstuhl am denkbar ungeeignetsten Ort dafür, einem Ort ohne fester Straße, in einem Haus auf einem Berghang. Wenn er draußen den einzigartigen Blick auf die albanischen Alpen erleben möchte, muss ihn seine Mutter, aufgrund des unebenen Gartens, hinaustragen.

Das Haus ist aus Stein und besitzt drei Stockwerke. Im Erdgeschoss befindet sich eine Wohnküche mit Holzofen, die der Sohn über die Nacht in sein Schlafzimmer umwandelt. Daneben befinden sich zwei schlichte Badezimmer, die beide von der Familie und den Gästen verwendet werden. Im ersten Stock schläft der restliche Teil der Familie und im zweiten Stock sind die Gästezimmer. Die Einrichtung ist sehr einfach. Es hängt kein einziges Bild im ganzen Haus, der Blick aus dem Fenster ist atemberaubend genug. Kein Fernseher. Kein Radio. Kein Geschirrspüler.

Die Frau aus Theth ist eine der freundlichsten Personen, die ich je gesehen habe. Sie ist glücklich mit ihrem schlichten Haus und ihrer sympathischen Familie – es wirkt keine Sekunde so, als würde ihr etwas im Leben fehlen.

Glück ohne Materiellen. Ich bewundere sie. Ich wünschte, wir hätten miteinander reden können.


© Astrid Holzinger 2020-02-08