Die Freiheit der Wölfe ist der Tod der Lämmer

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

… ein Sprichwort, das sich auf unsere Gesellschaft immer intensiver anwenden lässt. Es macht Angst, weil es inzwischen geopolitisch wirkt.

Rechte Parteien in Europa wollen ausblenden, was nicht in ihr Bild einer „reinen“ Nation passt. “Das untergräbt die Idee vom guten Zusammenleben der Gesellschaften, die per se vielfältig sind”, schreibt EU-Vize Timmermans.

Die Alarmglocken beginnen da zu läuten, wo Politiker den Historikern den Stift aus der Hand nehmen und die Geschichte nach ihren eigenen Vorstellungen neu schreiben. Für sie ist Geschichte ein Selbstbedienungsladen. Man sucht sich aus, was gefällt und ignoriert, was nicht zur eigenen Vorstellung einer unfehlbaren Nation passt – Modus operandi von Autokraten.

Wie unehrlich!

Alle Gesellschaften sind vielfältig, sobald wir jedes Individuum als eine Person mit unveräußerlichen Menschenrechten ansehen.

Die philosophische Denke von Pluralismus bringt der lettisch-britische Philosoph Isaiah Berlin (1909–1997) auf den Punkt: “menschliche Grundwerte sind universell UND pluralistisch, widersprüchlich UND inkommensurabel”.

Das müssen wir zuerst akzeptieren. Danach suchen wir nach Gemeinsamkeiten, um moralischen Absolutismus zu vermeiden. Nur so können wir Normen für Wertevielfalt, für persönliche Autonomie konzeptualisieren.

Das Verständnis für unterschiedliche kulturelle Werte bereichert das Konzept, findet praktische Ansätze für eine liberale Umverteilungspolitik, für Multikulturalismus und führt zu einer Politik, bei denen die Grundwerte ausbalanciert sind.

Heute ist es schwierig, Antworten auf die Komplexität von Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu finden, weil die Sichtweisen sich von Gesellschaft zu Gesellschaft UND auch innerhalb der Gesellschaften unterscheiden

Und deshalb – so Berlin – kann keine einzelne Doktrin Lösungen für ALLE menschlichen Herausforderungen anbieten – dieser arrogante Denkfehler führte vor 90 Jahren zu unbeschreiblichen totalitären Gräueltaten

Dem Rationalismus der Aufklärung entsprang die Gegenbewegung der Romantik – aus beiden entstand der destruktive Utopismus, durch den Europa fast vernichtet wurde.

Nur mit dem Ehrgeiz, indiverse Gesellschaften miteinander zu vernetzen, haben Menschen eine Chance, die gegenwärtigen Herausforderungen zu bewältigen

Die EU hat für die Respektierung aller politischen und kulturellen Unterschiede zwischen ihren Mitgliedstaaten gesorgt und ist erfolgreich bei der Überwindung uralter Konflikte in einer Union von Staaten und von Bürger*innen

Wir müssen akzeptieren, dass Werte universell UND inkommensurabel sind und müssen Unterschiede akzeptieren, ohne den Kampf um unveräußerliche Menschenrechte aufzugeben.

Deshalb muss Geschichtsschreibung den Historikern überlassen bleiben.

Und wir müssen integer unsere Geschichte akzeptieren und in uns und in anderen Gutes und Schlechtes erkennen.

So fängt ein gutes Zusammenleben an.

© Heinz-Dieter Brandt 2022-03-20

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