Die Geheimnisse der Linzer-Oma

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Es gibt Dinge im Leben der Linzer-Oma, die ich nur aus Erzählungen meiner Mutter weiß. Und die werfen ein anderes Licht auf die Oma. Ich habe daraus zweierlei Schlüsse gezogen: Erstens, man tut gut, bei Menschen mit Widersprüchlichem zu rechnen. Zweitens, manche Wahrheiten, zur Unzeit erzählt, schaden mehr als sie nützen.

Ich hielt mich gerne in der Bauernstube der Großeltern auf, aus dem einfachen Grund, weil sich dort jemand meiner annahm. Außerdem war immer was los. Entweder kam der Kuckuck aus der Kuckucksuhr und verkündete lautstark die volle Stunde, oder es läutete das Telefon. Da lief ich hin, hob ab, sagte meinen Namen und dann: Momenterl, ich hol‘ die Oma.

Manchmal sah ich der Oma beim Bettenmachen zu. Auf dem Bettüberwurf saß eine Puppe, und der Saum des lindgrünen, steifgestärkten Kleides beschrieb einen schönen Kreis. Jeden Morgen wurde die Puppe wieder mittig platziert. Oder wir gingen zum Wetterhäuschen, das an der Außenwand beim Fenster angebracht war. Es hatte zwei Türen. Bei Sonnenschein kam eine Frau in einem Dirndl heraus. Wenn es nach Regen aussah, trat aus der anderen Tür ein schwarz gekleideter Mann mit Schirm.

Eine Zeitlang war Omas Clematis Tagesthema im Haus. Obwohl ich die Ohren spitzte, blieb mir die Geschichte ein Rätsel. Eines Tages ließ die Clematis ihre lila Blüten hängen. Die Linzer-Oma verdächtigte den Nachbarn auf der rechten Seite, er habe aus Rache, wofür, das habe ich nie herausgefunden, einen Kübel Urin zu den Wurzeln der Kletterpflanze geschüttet. Das machte der Clematis den Garaus. Täglich zupfte die Oma welke Blüten ab und ließ ihrem Ärger freien Lauf. Damals dachte ich mir, dass die Welt der Erwachsenen recht kompliziert ist und dass sie sich über vieles maßlos aufregen, ohne ersichtlichen Grund.

Ich weiß nicht mehr, wann ich das Wort „Engelmacherin“ zum ersten Mal aufschnappte. Jedenfalls verstand ich es lange Zeit wörtlich und stellte mir vor, eine Engelmacherin ist das weibliche Gegenstück zu einem Herrgottsschnitzer. Beide haben sie eine Aufgabe, die etwas sehr Erhabenes an sich hat, etwas Himmlisches. Und da lag ich gar nicht einmal so daneben.

Das einzige Kind, das die Linzer-Oma 1927 zur Welt gebracht hat, war mein Vater. Bei den übrigen Schwangerschaften, erzählte mir meine Mutter, sei sie zu einer Engelmacherin gegangen, was sie dem Opa jedoch verschwiegen habe. Die Linzer-Oma hat also mehrmals abgetrieben, vielleicht, weil sie einen Witwer geheiratet hatte, der einen Säugling mit in die Ehe brachte. Angeblich, sagte meine Mutter, ist ihm die Linzer-Oma zugeführt worden. So eine Kuppelei sei am Land gang und gäbe gewesen.

Als meine Mutter mit mir schwanger war, soll die Linzer-Oma meinem Vater einen Zettel in die Hand gedrückt haben mit dem Namen einer Engelmacherin. Falls das stimmt, hätte ich es lieber nie erfahren. Aber mein Vater machte meiner Mutter einen Heiratsantrag, und so blieb ich im Bauch, sogar drei Wochen über den errechneten Termin hinaus.

© Sonja M. Winkler 2021-05-17

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