Es war winterlich kalt auf den Straßen. Über die rutschige Koppstraße machte ich meinen Weg durch den Matsch und den Rollsplit. Alles grau in grau. Ein typischer Wiener Wintertag.
Meine Handschuhe hatte ich im Bus liegen gelassen, und als ich es bemerkte war er schon weitergefahren. Also musste ich meinen Geigenkoffer mit bloßen Händen durch die Kälte schleppen.
Hier war es also. Ich sollte Geigenstunden bei einer alten Dame im Erdgeschoss einer Mietskaserne nehmen. Ich erinnere mich noch gut an das Haus. Klo am Gang, zugige Fenster, doch in der Stube war es meist wohlig und warm. Wir übten leichte Stücke von Bach und nach der Stunde machte sie Tee für uns. Auch selbstgebackene Marzipankekse. Und dann erzählte sie von ihrer Jugend und wie ihr das Geigenspiel durch die harte Zeit geholfen hatte.
Anfangs war ich nicht begeistert gewesen vom Geigenunterricht. Und ich war auch keine sonderlich talentierte Musikerin. Doch ich begann die Zeit mit der alten Dame zu schätzen. Ihre Geschichten vom Winter in Wien, als noch keine Autos auf den Straßen fuhren und sich Kinder und Erwachsene große Schnellballschlachten lieferten. Und die Fuhrwerke wie Taxis durch die Stadt kutschierten.
Es war eine andere Welt, die ich nur aus Büchern kannte. Meine Großeltern waren nicht aus Wien, ihre Geschichten vom Land unterschieden sich sehr von den Erzählungen meiner Geigenlehrerin
Mit dem Umzug meiner Eltern war auch der Geigenunterricht von einem Mal aufs andere vorbei. Denn es war nicht praktikabel für eine Stunde quer durch Wien zu fahren. Doch hin und wieder, wenn ich in der Gegend war, habe ich meine alte Geigenlehrerin besucht. Und ihr immer ein kleines Stück vorgespielt. Auch wenn es nicht sonderlich gut war. Ich war ja, wie bereits gesagt, nicht sehr talentiert. Selber konnte sie nicht mehr, dafür waren ihre Hände zu schwach. Aber sie genoss es sehr mir zuzuhören. Meine Geige habe ich immer noch, gespielt habe ich sie seit Jahren nicht mehr. Aber wenn ich sie sehe, dann muss ich an Schneeballschlachten denken, an meine gefrorenen Handschuhe und den Winter in Wien vor vielen Jahren.
© 2020-10-15