von Barbara Fath
Seine rechte Hand war steif und hing bewegungslos an seinem Arm. Eigentlich war sie unbrauchbar. Ein Unfall war die Ursache. Dennoch spielte er Karten, fuhr mit dem Rad und half dort, wo er gebraucht wurde. Sein Lächeln kam aus dem Herzen. Er war ein froher und gütiger Mann. Schade, dass ich ihn nur kurz kennenlernen durfte. Wo ist er hin, als er starb? Denke ich an ihn, denke ich auch an einen anderen Mann. Dieser war kaum gesprächig. Er war irgendwie brummig und in sich gekehrt. Es schien, als ob er mit seinen Gedanken stets weit weg war. Vielleicht aber wollte er einfach nur seine Ruhe haben. Manchmal sitze ich auch nur so da, wie er damals, und dann schaue ich ins Leere. Schade, dass ich mich nie richtig mit ihm austauschen konnte. Wo ging er hin, als er viel zu früh starb? Und dann, schmerzlich und unbegreiflich, ging auch sie hinter diese Linie. Zack und weg war sie. Sie ging dorthin, wo auch die beiden Männer waren. So vermute ich jedenfalls. Würde ich diese Linie zeichnen, wäre sie auf meinem weißen Blatt Papier ein gelber, dünner Strich. Wie ein verlockend strahlender und doch so unwissend endgültiger Sonnenstrahl.
Würde ich morgen über diesen hüpfen müssen, also sterben müssen, würde ich mich heute, an diesem ersten und letzten Tag, auf ein Wiedersehen mit diesen drei Menschen freuen und mich vorbereiten. Damit ich ja nichts vergesse, würde ich sämtliche Fragen notieren, denn meine Neugierde ist groß und nur sie haben die Antworten. Dann würde ich mich hübsch machen und sehr aufgeregt werden. Würden wir uns erkennen? Schließlich sind wir nun schon Jahrzehnte getrennt. Sind sie auch mit mir alt geworden? Ich denke schon, oder nicht? Soll ich Geschenke mitbringen? Und was brauche ich eigentlich dort, in diesem unbekannten Dahinter? Ich weiß, nichts brauche ich. Aber wie fühlt sich nichts an? Wie es aussieht, würde ich wohl diesen einen letzten, ersten und auch einzigen Tag, mit genau solchen Fragen verbringen. Oder sind das jetzt nur spontane, fiktive Gedanken und nichts davon würde genau so geschehen? Denn wahrscheinlicher wäre wohl, dass ich eine extreme Angst hätte und sich meine Gedanken quälend traurig an jene richten würden, die ich loslassen und zurücklassen müsste.
Nicht zu wissen, wann es Zeit ist hinter die Sonne zu gehen, ist ein Geschenk. Würde ich es wissen, könnte ich ziemlich sicher schwer damit umgehen. Außer ich würde nur eine Geschichte schreiben wollen, dann würde ich wohl aufzählen, was mir meine Gedanken flüstern und wonach sich mein Herz sehnt. Wenn ich vom Leben erzähle und gleichzeitig über die Endgültigkeit nachdenke, vermischen sich meine realen und verträumten Worte, Sätze und Gefühle. Diese Linie wäre auf meinem weißen Blatt Papier bestimmt ein dünner, rosa Strich.
Jetzt aber, da ich mit der Sonne aufwachen durfte, zeichne ich eine hoffnungsvolle, grüne Linie und mit dieser gehe ich in einen neuen, schönen Tag, lebendig und zuversichtlich – danke dafür!
Bild unsplash
© Barbara Fath 2021-07-07