Für Opa Franz, euren Urgroßvater:
Vor vielen, vielen Jahren, ich war ungefähr so alt wie Oskar, kam eines Tages meine große Schwester ganz aufgeregt in unser Wohnzimmer. Meine Schwester war viel älter als ich, sie war schon erwachsen. Wir wohnten alle zusammen in einem großen Haus, in einem kleinen Dorf im Lungau. Am Abend war es immer besonders finster, weil es damals noch keine Straßenlaternen gab. Unser Haus stand an einem Hang, sodass man zwei Haustüren hatte, eine im unteren Stock und eine im oberen. Im Erdgeschoss hatte meine Schwester ihre Wohnung, die anderen Stockwerke bewohnte die übrige Familie. Nun stand meine Schwester ganz aufgeregt in unserem Wohnzimmer und stammelte etwas von einem Einbrecher. Dass man da aufgeregt ist, ist ja kein Wunder. Jedenfalls flüsterte sie: „Es sägt jemand an meinen Fenstergittern, kommt schnell!“ Ich bekam jetzt auch furchtbar Angst und versteckte mich hinter meiner Mutter. Mein Vater war als junger Mann Polizist gewesen und hatte aus dieser Zeit noch eine Waffe, eine Pistole. Jetzt holte er diesen Revolver aus dem Schlafzimmer.
Es war ganz still im Wohnzimmer, als mein Vater, die Waffe in der Hand, das Haus verließ. Er ging beim oberen Eingang aus dem Haus und wollte so den Räuber überraschen. Der würde nicht damit rechnen, dass von dieser Seite jemand kommen würde. Leise bewegte sich mein Vater auf das vergitterte Fenster zu, in Erwartung, dem Einbrecher gegenüberzustehen. Er hörte auch schon das Geräusch von einer Säge. Aber wo war der Räuber? Weit und breit war kein Räuber zu sehen, dafür hörte man deutlich das Geräusch der Säge am Fenstergitter:“ch, ch,ch…“ Woher kam das Geräusch? Da entdeckte mein Vater den “Räuber,“es war ein kleiner Igel, der durch das Gras marschierte und dabei diese Geräusche, ch, ch, ch von sich gab.
Mein Vater holte uns schnell und fragte, ob wir den Einbrecher sehen wollten. Zaghaft gingen wir hinter ihm her. Da stand er nun unser Räuber. Und davor hatten wir uns gefürchtet. Jetzt fürchtete sich der kleine Räuber vor uns, er, klein und allein, wir, groß und eine ganze Gruppe von Menschen. Was macht denn ein Igel, wenn er Angst hat? Richtig, der rollt sich zusammen, die spitzen Stacheln nach außen, drinnen, geschützt der Körper. Wir gingen schnell ins Haus zurück, der kleine Igel war jetzt so aufgeregt, wie wir vorher. Der würde sich erst beruhigen, wenn er wieder allein im Garten war.
Von diesem Zeitpunkt an fütterten wir unseren kleinen Räuber jeden Abend den ganzen Sommer lang, manchmal mit einem Apfel, oder einer Karotte, oder einem Ei.
Nie wieder haben wir ihn gesehen, aber das Essen war jeden Tag weg, er hat sich nie mehr blicken lassen.
Was glaubt ihr, war es der kleine Igel, der das Essen gefressen hat, oder wer anderer? Wer wohnt denn noch im Garten?
Die Geschichte ist mindestens 50 bis 60 Jahre her und wird noch immer erzählt, die Geschichte vom Urgroßvater Franz aus Mariapfarr und dem gefährlichen Einbrecher.
© Elisabeth Adensamer 2020-10-29