Die Gleirschalm

Paula Würtenberger

von Paula Würtenberger

Story

Wenn man ins Sellraintal fährt, kann man von St. Sigmund auf die Gleirschalm wandern. Im Winter gibt es sogar eine kleine Rodelbahn, die ein beliebtes Ausflugsziel für Familien mit (kleinen) Kindern ist. Nun behaupten viele Leute, dass der Name der Alm davon kommt, dass das Seitental, in dem sie sich befindet, Gleirschtal heißt. Eigentlich ist es umgekehrt, und die Bezeichnung ‘Gleirsch’ hat ihren Ursprung bei den Albigen.

Auch die Albigen waren begeisterte Wintersportler, die Ski und Rodel beim ersten Anzeichen von Schneefall aus dem Keller holten. Wenn die Albigen noch sehr klein sind, können sie, genauso wie sehr kleine Menschen, noch nicht sofort skifahren. Deshalb geht man dann nicht ungern rodeln, vorausgesetzt, dass die Bahn und die Schneeverhältnisse passen.

So war es auch vor vielen, vielen Jahren, als im Sellraintal ein Albiger namens Stefan Sigmund lebte (nach dem sein Heimatort benannt wurde). Dieser Albige hatte eine kleine Tochter, die er immer zum Rodeln mitnahm. Schon damals gab es dieselbe Rodelbahn wie heute, auch mit einer Alm am Ende, bei der man einkehren konnte. Der Weg zur Alm war nicht besonders lang und oben wartete ein heißer Kakao, doch das half nicht gegen die Launen des kleinen Albigenmädchens. Kaum aus der Türe getreten, ließ sie sich nach drei Schritten in den Schnee fallen und fing an, herumzumeckern: “Sei ma glei da? I mag numma! Meine Fiaß tian weh.” Das fand der Albigenpapa furchtbar anstrengend. Am Beginn des Winters hatte er seine Tochter einfach auf den Rodel gehockt und sie zur Alm hinaufgezogen, damit irgendetwas weiterging. Allerdings war ihm die Kleine um einen Schritt voraus, und nachdem er einige Minuten gegangen war, fing von neuem das Gemeckere an, diesmal unter dem Vorwand, dass ihr zu kalt sei. Also probierte der Albigenpapa eine neue Methode aus, die er in einem Elternratgeber gelesen hatte (der Buchdruck war erst kürzlich in Tirol populär geworden und irgendein Buchdrucker hatte eine Schwäche für Ratgeber). Als sich seine Tochter in den Schnee warf und darauf wartete, mit dem Rodel nach oben gezogen zu werden, blieb er stehen und sagte: “Wenn du jetzt nicht aufhörst, gehen wir nicht zur Alm weiter.” Das war eine neue Strategie, die der kleinen Lauserin überhaupt nicht schmeckte. Also bekam sie einen Wutanfall und schrie: “Glei schrei i! I will iaz zur Alm!” Das war nicht unbedingt das erhoffte Ergebnis. Zudem hatte das Albigenmädchen eine sehr kräftige Stimme, die man bis nach Innsbruck hören konnte, wo sich die Leute schon bald zu erkundigen begannen, wo den diese so laut beworbene “Gleischriazuralm” zu finden sei. Diese kostenlose Werbung tat der Alm sehr gut, und schon bald wurde die Rodelbahn bekannt und beliebt unter den Leuten.

Als Tirol zunehmend zu einem beliebten Reiseziel wurde, fanden die Wirtsleute, dass der Name ihrer Alm zu lange und kompliziert für die Touristen war, und kürzten ihn kurzerhand ab zu “Gleirschalm”.

© Paula Würtenberger 2022-04-05

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