Die Gnade Gottes und Dr. Lellek

Über elf Jahre ist es nun her, dass Dr. Lellek diesen Satz sprach, den ich seitdem nicht mehr vergessen sollte.

Er kam in mein Isolationszimmer – über zehn Monate lag ich schon im Universitätsklinikum Eppendorf, abgeschottet von der Welt; nicht mal ein Fenster hatte ich; jegliche Keime waren damals mein Tod, Luft wurde über einen regulierenden Schacht abgezogen. Mein Name war Haut, Vorname Knochen. Kein Gramm Fleisch befand sich an meinem Leib.

Dr. Lellek kam also hineingeflogen in grüner Vollmontur, hygienische Schutzkleidung: „Gute Nachrichten, junger Mann, das Knochenmark ihres Bruders hat angeklopft! Wir konnten im Blut nachweisen, dass ihr System die Spende vorsichtig annimmt.“ Ich fing einfach laut zu lachen an. Ich weiß noch, dass ich zu jenem Zeitpunkt mindestens einen Monat nicht einmal mehr gelächelt hatte. Ich hatte mehrmals den Tod und Notoperationen, überlebt. Ich war an Morphium angeschlossen wegen der Schmerzen. Davon halluzinierte und alpträumte ich: Sobald ich kurz einschlief, wurde ich bei lebendigem Leib von Chirurgen aufgeschlitzt, wachte schreiend auf, das Morphium wurde etwas gesenkt, damit ich weniger Alpträume habe, dann kamen wieder die körperlichen Höllenqualen durch, Morphium wurde erhöht, Alpträume kamen zurück – wochenlang kein Schlaf…. Aufstehen konnte ich nicht mehr. Meinen Arm bewegen, ging grade so unter Schmerzen. Mein „Essen“ ging direkt ins Blut – wer braucht schon etwas im Magen?! – –

Tja, Dr. Lellek, das habe ich Ihnen damals nicht gesagt, aber ich lachte tatsächlich das erste Mal seit vielen Wochen – und dann auch noch wie ein Bekloppter.

Das oben, liebe Lesende, war jedoch noch nicht der Satz, der mich so prägen sollte. Der kam im weiteren Gespräch:

– „Noch ein paar Wochen und ich komme hier raus!“

– „Die Frage ist nur, tot oder lebendig?, Haha!“, lachte Dr. Lellek.

– „Das finden Sie also lustig, Dr. Lellek?“

– „Wissen Sie, ohne Humor, hält man es in diesem Laden leider nicht aus…. Aber schon gut, Themawechsel. Haben Sie schon jemanden, der Ihre Schule benachrichtigt? In einigen Monaten können Sie da vielleicht wieder hin. Das ist doch eine schöne Aussicht oder?, Haha!“

– „Das ist aktuell mein kleinstes Problem…. Schon krass, ich war in der 13. Klasse, 3. Semester, hatte schon Vorabi geschrieben. Dann musste ich abbrechen, werde dieses Jahr nicht mehr regulär anfangen können und nächstes Schuljahr wieder im 1. Semester landen. Statt 2010 habe ich erst 2013 mein Abi… – ich habe so viel Zeit verloren!“

– „Naaa, nicht so voreilig, ich würde eher sagen, Sie haben eine ganze Menge an Zeit gewonnen!“ – – –

Dieser Satz! Dieser Satz….

Es stimmt schon irgendwie: Die Medizin hat mir jetzt schon über 11 Jahre geschenkt. In einem Land ohne diesen Stand, ohne Krankenkasse usw. wäre ich damals gestorben. Über 11 Jahre schon…. Nun gut, wie lange es für mich noch weitergeht, obliegt der Gnade Gottes – in anderen Worten: Allah kerim.