Ich habe den Nikolaus getroffen. Am 25. Dezember. Wie so oft durch Zufall, oder Fügung, oder Schicksal, oder…wer weiß das schon, weshalb ein Mensch unerwartet ins eigene Leben fällt. Der heißt Herbert und war einmal Tischler. Da hat er Möbel aus massivem Holz gebaut, wie der Meister Eder, oder wie Geppetto. Dann hat er die Tischlerei verkauft und ein Bestattungsunternehmen übernommen. Generationen von Menschen würdevoll bestattet, denn jeder Mensch ist es wert, in Würde begraben zu werden. Das ist kein lustiges Thema, aber in Italien ist heute die 30.000 Grenze überschritten. Menschen, die einfach so wegsterben, weil sie keine Luft kriegen. Das ist nicht würdevoll.
Der Bestatter, der Herbert heißt, ist jetzt 80. Drei Kinder hat er alleine aufgezogen, weil seine Frau sehr jung an Krebs gestorben ist. So viel Tod, Trauerbegleitung, Abschied. Noch nie habe ich einen Menschen getroffen, der so eine Lebenskraft und so viel Optimismus und Herzenswärme ausstrahlt, wie dieser alte Mann. Jünger als die Jungen, voller Tatendrang, weil er noch viel zu tun hat in dieser Welt. “ So geht’s nicht weiter. Der Krieg auf der Welt muss aufhörn, der Hunger auf der Welt muss aufhörn, die Waffenfabriken müssen Landmaschinen bauen. Gleiches zieht Gleiches an. Man erntet, was man sät. Das Wichtigste ist die Liebe,“ sagt der weise Schamane
Mehr als vierzig Jahre lang hat er am 6. Dezember die Kinder besucht und viele Nikoläuse ausgebildet. Den Lehrlingen hat er aufgetragen, worauf sie achten müssten, dass sie sich von jedem Kind notieren sollten, was es gut kann und loben und beschenken, ja nicht tadeln. Sogar ein Buch hat er herausgegeben mit Anleitungen und vielen Bildern aus vier Jahrzehnten. Ein Leben als Nikolaus, damals und heute.
Damals gab es eine Hungersnot und der Bischof von Myra, das in der heutigen Türkei liegt, hat ein Schiff beladen mit Korn und Früchten und Essbarem und es den Hungernden gebracht. Mein Nikolaus hat mir die Geschichte von den goldenen Äpfeln in Erinnerung gerufen, die ich vergessen hatte. Drei goldene Äpfel ins Fenster der Frauen gelegt, die keine Aussteuer hatten, um heiraten zu können. Mitgift. Beigabe. Damit sie sich nicht verkaufen und als Dirnen verdingen müssten.
Das Gold ist Schutz, das Erbe, die Aussteuer. Das sind unsere Begabungen, Talente, Fantasie und Kreativität, der schöpferische Geist, der Genius in jedem, der schlummert, das Selbstvertrauen und das Vertrauen in ein wir werden es schon schaffen. Gestern habe ich es anders sagen gehört. „Jetzt habe ich keine Angst, aber im Herbst, da kommt es wieder. Davor habe ich Angst“, sagte eine Frau.
Wir haben die goldenen Äpfel im Fenster. „Eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich nicht an den Bedürfnissen des Kindes orientiert, ist eine fehlgeleitete Entwicklung“, sagt Erich Fromm. Was sollen wir tun, damit wir, anstelle von Angst, dass es wiederkommt, an die Aussteuer glauben und die Äpfel vom Fenstersims ins Herz holen? Wie können wir aufbrechen?
© Elisabeth Kinigadner 2020-05-10